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Untergang

Untergang

Titel: Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari , Aus dem Französischen von Christian Ruzicska
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grauenhaften Lärm, Pierre-Emmanuel ächzte und stieß manchmal ein unpassendes Lachen aus, Annie stieß Schreie aus und war zudem furchtbar geschwätzig und verkündete lauthals, was man mit ihr machen solle und was man grade eben mit ihr machte und wie sehr sie es genossen, was man grade eben mit ihr gemacht hatte, so deutlich, dass man den Eindruck gewann, einer Radioübertragung eines Spiels beizuwohnen, eines obszönen und unendlichen Spiels, das von einem hysterischen Journalisten kommentiert wurde. Matthieu und die Mädchen konnten nicht schlafen, Rym sagte: »Der Typ ist unmöglich, man sollte den mal auf Zeit stoppen, echt wahr«, und Pierre-Emmanuel begann tatsächlich, sich mit der Arroganz eines Leistungssportlers aufzuführen, er berührte in der Bar mit vorgetäuschter Absichtslosigkeit Annies Hintern, sobald der nur in seiner Reichweite war, geil dabei auf die vor lauter Bewunderung ohnmächtigen Blicke des Pöbels, die er auf sich ruhen fühlte, und Virgile Ordioni zwinkerte er gönnerhaft zu, der schon nervös lachte und seinen Speichel schluckte, und er klopfte ihm auf den Rücken wie einem Kind, das man mit Brosamen seiner Träume bedachte, mit denen es sich dann zufriedengeben musste, da dies schon alles war, was es je erhalten würde. Matthieu und die Mädchen hatten manchmal den Eindruck, Zeugen einer Performance zu sein, die im Grunde nur darauf ausgelegt war, die Erwartungen eines anspruchsvollen Publikums zu erfüllen, und also begannen sie zu applaudieren und Bravorufe auszustoßen, was kurzerhand Pierre-Emmanuel völlig verschwitzt und wütend aus dem Zimmer treten ließ, in das er umgehend zurückkehrte, nachdem er sie mit Blicken getötet hatte, sie bekamen daraufhin furchtbare Lachanfälle, und als die Unzuchttreibenden, erobert von der Ermattung, der Ruhe wieder ihr Recht einräumten, schliefen auch sie ein und die nackte Klinge des Schwertes wachte über der Reinheit ihres Schlafes. Aber das Schwert musste ihnen natürlich einmal entzogen werden, und eines Abends war dem so. Matthieu lag auf der Seite, zu Izaskun gedreht, und wieder murmelte sie etwas auf Spanisch, er hörte sie schwer atmen und sah im Dämmer ihre Augen glänzen und ein Lächeln, das ihn an Judith Haller erinnerte, aber dieses Mal war es die Welt, die er sich erwählt hatte, die Welt, die er Stein um Stein erbaute, und nichts konnte ihn schuldig werden lassen, er hob langsam seine Hand und berührte Izaskuns Wange, und da küsste sie sein Handgelenk und dann seinen Mund, und sie drückte ihren Bauch an ihn und führte ein Bein zwischen die seinen, damit er näher rücke, und sie küsste ihn mit all ihren Kräften, Matthieu fühlte seine Leidenschaft entzündet vor Dankbarkeit und Schönheit, eingetaucht in die kristallklaren Tiefen der Wasser des Taufbeckens, der heiligen Wasser, der Wasser der ewigen Reinheit, und als alles beendet war, drehte er sich auf den Rücken, die Augen geöffnet, Izaskun an sich gepresst, und sah, dass Agnès auf ihren Ellenbogen gestützt sie beide betrachtete. Er drehte sich ihr zu, um sie anzulächeln, und sie neigte sich und küsste ihn ausdauernd, sie sammelte mit der Zungenspitze ein wenig Speichel von seinem Mundwinkel, dann streichelte sie ihm leicht die Augenlider mit ihren Fingerspitzen, wie man pietätvoll die Augen eines Toten schließt, bis er unter ihrer sanften Zärtlichkeit in den Schlaf glitt.

»Ich lass dich mit der Bar allein, Annie. Hast du die Kasse fertig?«
    Annie reichte Matthieu den Tagesumsatz, den er in eine kleine Eisenkasse legte. Er öffnete eine Schublade und zog aus ihr eine riesige Pistole, die er jetzt schon mit so perfekt einstudierter Geste in seine Hose steckte, dass es inzwischen natürlich wirkte.
    »Wir können!«
    Aurélie sah ihn fassungslos an.
    »Du hast jetzt eine Pistole? Bist du völlig durchgeknallt? Was geht denn mit dir ab? Männlichkeitsprobleme? Und du siehst so lächerlich damit aus. Ist dir das klar?«
    Matthieu fand sich überhaupt nicht lächerlich, ganz im Gegenteil, er sagte aber nichts dazu und gab sich damit zufrieden, Erklärungen zu liefern, die seine Schwester verlangte und denen sie sich nur beugen konnte. Die Bar laufe wie Hölle, die Gäste strömten aus allen Dörfern im Umkreis von dreißig, ja sogar vierzig Kilometern herbei, es sei unglaublich, und Liberos Idee, die Mädchen zu fragen, ob sie bleiben wollten, sei ein Geniestreich gewesen, denn die waren es, die so viele Leute anzogen, ohne sie wäre niemand so dämlich,

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