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Untergang

Untergang

Titel: Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari , Aus dem Französischen von Christian Ruzicska
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bei ihnen zu Hause wartete, aufgehoben im Schutz der glückseligen Zwingburg ihrer fröhlichen und unveränderten Unschuld. Sie weigerte sich, was auch immer zu lernen, sie bestand darauf, weiterhin Korsisch zu sprechen, ihrer Malinke-Magd bei deren haushälterischen Aufgaben zu helfen, ungeachtet der Zurechtweisungen durch Marcel, den sie zum Schweigen brachte, indem sie ihn mit Küssen und Zärtlichkeiten überschüttete und stehend noch entkleidete, bis er dann mit rückwärts über Kreuz geschlagenen Armen ins Bett fiel und sie die Schleier des Moskitonetzes wieder über ihnen verschloss. Er sah sie an, er blies ganz sacht über ihre feuchten Brüste, er küsste sie auf die Leistenfalte, auf den Mund, den Nasenflügel, die Augenlider und war eines Tages irritiert von der Rundung des Bauches, auf dem er ruhte. Sie sagte ihm, dass sie etwas zugenommen habe, ihre Kleider säßen etwas eng, sie äße zu viel, das wüsste sie, und errötend fragte er sie, wie weit ihre letzte Blutung zurückläge, aber sie wusste es nicht, sie hatte nicht darauf geachtet, und er nahm sie in seine Arme, er nahm sie und hob sie hoch mit all ihrer engelhaften Dummheit, ihrem Lachen und den Nachklängen der Barbarensprache, von der er nicht mehr wollte, dass sie auch die seine sei, und ließ sich von einer absurden Freude tragen, einer animalischen Freude, bei der es nicht weiter wichtig war, dass er sie nicht verstand, denn verstanden sein wollte sie nicht und Sinn zu ergeben war ebenfalls nicht ihr Anliegen. Sie war im sechsten Monat schwanger, als Marcel, nach erfolgreicher interner Aufnahmeprüfung, aufgestiegen war zum Inspektor einer Unterabteilung irgendwo in der Peripherie eines abgelegenen Verwaltungskreises, der nicht der Hölle entsprungen war, sondern nur dem Kolonialkataster. Er regierte von nun an über ein riesiges Territorium, dessen Feuchtigkeit nur von Insekten, Negern, wilden Pflanzen und Raubtieren bevölkert war. Die französische Flagge hing am Ende einer Fahnenstange wie ein nasser Lappen vom Giebel seiner Residenz herab, etwas abseits von einem ärmlichen Dorf, dessen Hütten an den Ufern eines schlammigen Flusses errichtet worden waren, den entlang Kinder mittels einer Kordel Kohorten erblindeter Alter führten, die unter einem Himmel dahinzogen, der ebenso milchig weiß war wie ihre erloschenen Augen. Er hatte zum Nachbarn einen Gendarmen, dessen Neigung zu trinken sich jeden Tag etwas deutlicher zeigte, einen Arzt, der bereits Alkoholiker war, sowie einen Missionar, der die Messe auf Latein sprach, vor Frauen mit nackten Brüsten, und versuchte, eine renitente Hörerschaft zu faszinieren, indem er die Geschichte Gottes immer wieder wiederholte, der Mensch geworden war, bevor er als Sklave starb zum Heil aller. Marcel bemühte sich mit ihnen gemeinsam, das Licht der Zivilisation nicht erlöschen zu lassen, dessen einzige Vestalinnen sie waren, und ihre Abendessen wurden ihnen von als Butler gekleideten Boys serviert, die das leuchtende Geschirr auf makellos gebügelten weißen Tafeltüchern auftrugen, und er ließ seine Frau, so rund und so lächelnd, mit ihnen gemeinsam am Tisch Platz nehmen, denn bei der Farce, von der er wusste, dass er sie spielte mit seinen armseligen Komparsen, bedeuteten die sozialen Konventionen, die Entgleisungen und das Lächerliche nichts mehr, und ebenso wenig wollte er nicht länger in deren Namen auf diejenige verzichten, die von nun an einziger Quell seiner Freude war. Ohne sie wäre die Bitterkeit seines gesellschaftlichen Erfolges untragbar gewesen und er hätte es tausendmal vorgezogen, der Zehnte oder Zwanzigste in Rom zu sein, als dergestalt ein Königtum von barbarischer Trostlosigkeit an den Grenzen des Kolonialreichs zu regieren, aber es würde ihm nie jemand eine solche Wahlmöglichkeit bieten, denn Rom existierte nicht mehr, seit Langem bereits war es zerstört, nur Königreiche waren geblieben, die einen barbarischer als die anderen, denen zu entkommen nicht möglich war, und der, der sein Elend floh, konnte nichts anderes erhoffen, als seine unnütze Macht auf Menschen noch elender als er auszuüben, wie Marcel es grade tat, mit der unerbittlichen Verbissenheit derer, die Elend erfahren hatten und dessen widerliches Schauspiel nicht mehr ertrugen und nicht aufhörten, Rache zu nehmen am Fleische derer, die ihnen allzu sehr ähnelten. Vielleicht ist eine jede Welt nur der verzerrte Widerschein aller anderen, ein ferner Spiegel, in dem Abfälle zu leuchten scheinen wie

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