Untergang
Diamanten, vielleicht ist da nur eine einzige Welt, deren Raum zu entfliehen unmöglich, da die Linien ihrer illusorischen Wege sich sämtlich wieder genau hier vereinen, nahe am Bett, in dem Marcels junge Frau im Todeskampf liegt, nachdem sie eine Woche zuvor ihren gemeinsamen Sohn Jacques zur Welt gebracht hatte. Anfangs hatte sie über Bauchschmerzen geklagt und es hatte sie ein Fieber ergriffen, das nicht zu senken war. Nach einigen Tagen versuchte der Arzt mangels Antibiotika die Infektion auf ein künstlich gesetztes Geschwür zu konzentrieren. Er lüftete das durchnässte Laken, er beugte sich über die kranke junge Frau und schob ihr das Nachthemd über die Beine, Marcel seinerseits beugte sich über sie, er roch den warmen Geruch von Whisky im Atem des Arztes und sah die zitternden Hände eine Spritze in die Schenkel seiner Frau setzen, um dort Terpentin zu injizieren und auf der Haut nur einen winzigen roten Punkt zurückzulassen, den Marcel tage- und nächtelang nicht aus den Augen ließ und dem Zeitpunkt auflauerte, da sämtliche Blutbahnen des Körpers seiner Frau dorthin das Gift ableiten würden, das sie tötete, und er flehte sie an zu kämpfen, als hätte sie die Macht besessen, allein durch den Zauber des Willens ihren kraftlosen Körper zu zwingen, sie zu retten, die weiße Haut ihres Schenkels jedoch blieb furchtbar rein und glatt, kein Geschwür wollte sich auf ihr bilden, und Marcel weiß, dass sie sterben wird, er weiß es und er hofft, da er ihr die Stirn küsst, dass zumindest sie es nicht wissen wird, er hofft, dass ihre engelhafte Dummheit sie bis zum Ende davor bewahren wird, aber er irrt sich, denn Dummheit bewahrt auch vor Hoffnungslosigkeit nicht, und sie weint in ihrem Fieber, sie verlangt nach ihrem Kinde, sie streichelt und küsst es und klammert sich an Marcels Hals und sagt, dass sie nicht wolle, nein, sie will sie nicht zurücklassen, sie möchte noch leben, aber sie schläft für einen Moment ein und erwacht weinend, sie fürchtet die Nacht, nichts vermag sie zu trösten, Marcel hält sie fest in seinen Armen, ohne sie der Strömung entreißen zu können, die sie unaufhaltsam der Nacht entgegenträgt, vor der sie sich so fürchtet, sie ist vor Kälteschaudern und Tränen erschöpft und lässt sich mit der Strömung gehen, die sie davonträgt und schließlich wieder starr und kalt zurückwirft ins Leichentuch zerknitterter Laken. Ihr Gesicht ist verstellt vom Grauen, aber es ist dasjenige einer Wachsfigur, in dem Marcel nicht die lachende junge Frau wiedererkennt, deren Unschuld und Schamlosigkeit er liebte, und für einen Augenblick ist er überwältigt von der Hoffnung, dass etwas von ihr, ein zarter und zierlicher Hauch, einer leichten Seele gleich, das Skandalon dieses steifen Körpers verlassen haben mochte, um Zuflucht zu finden an einem lichten, sanften und friedlichen Ort, aber er weiß, dass dies nicht stimmt, es bleibt nichts von ihr als ein Leichnam, dessen Formen bereits zerfallen, und es ist diese Reliquie, auf die Marcel seinerseits seine Tränen fallen lässt. Während der Beerdigung denkt er an seine Familie, die noch nichts weiß von all seiner Trauer, er würde viel lieber seine Mutter, so vertraut mit den Werken des Todes, an seiner Seite haben als den Gendarmen und den Arzt, der im tropischen Regen torkelt, während die desillusionierte Stimme des Missionars über das unter Wasser gesetzte Grab hinweg Psalmen herunterleiert. Als der Stein gesetzt ist, bleibt er eine lange Weile allein und kehrt zurück, um nach seinem Sohn zu sehen, der mit geschlossenen Augen an den schwarzen Brüsten der Malinke-Magd saugt. Er verachtet dieses Kind und er verachtet dieses Land, er schwört ihnen schonungslosen Hass, da sie sich verbündet hatten, ihm seine Frau zu nehmen, er weigert sich, dem Arzt zuzuhören, der einen Mangel an Antibiotika beklagt, denn er bedarf der Schuldigen und da kümmert ihn keine Gerechtigkeit, ebenso wenig wie Logik, da er zu fürchten beginnt, dass dieses verhasste Land ihm noch das ungeliebte Kind nehmen werde, das er nun nicht auch noch verlieren möchte, selbst wenn er ihm ununterbrochen vorwirft, geboren zu sein, anstatt in der Vorhölle verharrt zu haben, aus der heraus niemand sein Kommen erwünscht hätte, wobei schon der geringste über der Wiege in den Hüllen des Moskitonetzes gelassene Spalt Marcel in tödliche Angst versetzt, seinen Sohn von den monströsen Insekten verzehrt zu sehen, die die stickigen Tiefen der afrikanischen Nacht
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