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Untergang

Untergang

Titel: Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari , Aus dem Französischen von Christian Ruzicska
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setzen und sich aneinander reiben, um eine langsame Rotation im Orbit des Dämons in Gang zu setzen, der in der Tiefe seines Bauchs die Hand aufrichtete, starr wie eine schwarze Sonne, Blumen trieben die Spitze ihrer Knospen in die Alveolen seiner Bronchien, ihre Faserwurzeln liefen durch seine Adern bis in die äußersten Enden seiner Fingerspitzen, furchtbare Kriege wurden sich geliefert in dem barbarischen Königreich, zu dem sein Körper geworden war, mit ihrem wilden Siegesgeheul, ihren massakrierten Besiegten, ein ganzes Volk von Mördern, und Marcel nahm sein Erbrochenes unter die Lupe, seinen Urin, seinen Stuhlgang, stets in panischer Angst, darin Gewimmel an honigfarbenen Larven zu entdecken, Spinnen, Krebsen oder Nattern, und er wartete darauf, allein zu sterben, in Fäulnis verwandelt noch vor seinem Tode. Er führte Buch über seine Krankheiten, deren Symptome er kleinlich genau notierte, die Atemprobleme, die merkwürdigen Rötungen an den Ellenbogen und in der Leistengegend, die Durchfälle und Verstopfungen, die beunruhigende Verfärbung des Gliedes, Juckreize, Durst, er dachte an seinen Sohn, den er nie mehr würde wiedersehen, er dachte an seine junge Frau, an ihre um sein Gesicht gelegten Schenkel, und sie schien ihm mit einem Male so lebendig, dass er sie leidenschaftlich begehrte, und notierte Delirium, Priapismus, Nekrophilie, letale Nostalgie, bevor er sich lautlos der Malinke-Magd näherte, die den Staub von den Möbeln im Wohnzimmer wischte, und ihr das Kleid hochschob und sie wortlos nahm, seine Arme gleich den Flügeln eines riesigen, über einem unerschütterlichen Kadaver gebeugten Aasgeiers aufschlagend, und er konnte sich erst zurückhalten, als die Scham des Ergusses ihn im letzten Moment nach hinten warf, gegen die Mauer gepresst, die Hose auf den Knöcheln, die Augen vor Entsetzen geschlossen und das Geschlecht von unehrenhaften Zuckungen erschüttert, welche die Malinke-Magd zum Erliegen brachte, indem sie es wie ein Kind mit einem in handwarmes Wasser getauchten Staublappen reinigte, den sie dann noch benutzte, um die Lache grauen Samens auf den Fliesen wegzuwischen. Aber er lebte weiter, denn die Mächte, die ihn bedrängten, waren die des Lebens, nicht die des Todes, ein einfaches und engstirniges Leben, das unterschiedslos Blumen hervorbrachte, Parasiten und Ungeziefer, ein vor organischen Sekreten sickerndes Leben, und selbst das Denken sickerte aus dem menschlichen Hirn wie aus einer schwärenden Wunde, es gab keine Seele, sondern nur vom Gesetz einer komplexen, fruchtbaren, unsinnigen Mechanik regierte Flüssigkeiten, der gelbliche Tropfstein einer verkalkten Galle, das rosenfarbige Gelee der Blutgerinnsel in den Arterien, der Schweiß, die Gewissensbisse, die Schluchzer und der Geifer. Eines Nachts hörte Marcel Lärm auf seiner Terrasse, den Lärm umgeworfener Stühle, unsicher gesetzter Schläge gegen die Tür, und als er öffnete, fand er den Arzt gegen den Türstock kniend vor, er zitterte vor Fieber und sagte, helfen Sie mir, ich bitte Sie, ich sehe nichts mehr, ich bin erblindet, helfen Sie mir, und als er die Augen zu Marcel hob, quollen Würmer aus seinen Lidern, um wie Tränen seine Wangen entlang hinunterzulaufen. Marcel legte ihn für die zehn Tage, die die Behandlung der Loiasis dauerte, in sein eigenes Bett, er hörte ihn jedes Mal stöhnen, wenn Decke und Laken die schmerzhaften Ödeme an seinen Beinen und entstellten Armen berührten, er half ihm die qualvollen Nebenwirkungen von Notezine zu ertragen, trotz des Grauens, das ihm dieser Körper einflößte, den ausschweifende Zügellosigkeit in der Lebensführung hatte aufschwemmen lassen und der alle Augenblicke zu platzen drohte mit seinen Juckreizen, seinen Knötchen, seinen Abszessen, die die Verwesung der Fadenwürmer unter der Haut hatte aufblühen lassen, seinen roten und aufgeblasenen Augen, blind wie diejenigen eines Fötus. Als der Arzt wiederhergestellt war, war Marcel erleichtert, ihn gehen zu sehen. Er bat die Malinke-Magd, das Haus von oben bis unten zu desinfizieren, um das klinisch reine und aseptische Universum wieder vorzufinden, das die Ausfaltung seiner Ängste verlangte, er wusch sich die Hände mit Alkohol, er bürstete sich die Haut unter seinen Nägeln bis aufs Blut, notierte noch weitere Symptome, aufkeimender Tumor, Sepsis, Nekrosen, obgleich die einzige Krankheit, an der er litt, eine erschreckende Einsamkeit war, die er dadurch zu unterbrechen suchte, dass er täglich Briefe an seinen

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