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Untergang

Untergang

Titel: Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jérôme Ferrari , Aus dem Französischen von Christian Ruzicska
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Schwager nach Algerien schickte, er musste ihm die Gewissheit seines baldigen Verschwindens anvertrauen, hemmungslos sein Herz ausschütten, um zumindest die Skizze einer menschlichen Verbindung wieder aufzunehmen, selbst wenn der einzige Ansprechpartner, den er sich erwählt hatte und für den er eine fanatische Bewunderung hegte, ihm nie antwortete, denn in den Tiefen der algerischen Keller trieb Capitaine André Degorce, Klausner und ohne Stimme, langsam in den Abgrund seiner eigenen Einsamkeit, einzig begleitet von seinen in Blut getränkten Händen. Marcel kehrte ins Dorf zurück, um erst seinen Vater zu beerdigen, dann seine Mutter, und er beweinte sie nicht, denn der Tod war schon immer ihre Berufung gewesen, und beinahe war er glücklich darüber, dass sie endlich hatten einem Ruf folgen können, den überhört zu haben sie so lange hatten heucheln müssen. Er sieht seine älteren Schwestern wieder, die er nicht mehr erkennt, Jean-Baptiste und Jeanne-Marie und seinen Sohn, den er nicht mehr wagte, in die Arme zu schließen, und der überdies auch keinerlei Lust dazu hatte. Er fragte ihn, ob es ihm gut ginge, und Jacques antworte Ja, und er sagte zu ihm noch, dass er weit weg von ihm lebe, ihn aber liebe, und Jacques antwortete noch einmal Ja und sie schwiegen dann bis zu Marcels Abreise nach Afrika, wo eine Beförderung auf einen Militärgouverneursposten auf ihn wartete. Er nahm Abschied vom Arzt, vom Missionar und vom Gendarmen, die die durchschaubaren Gefährten so vieler unnützer Jahre gewesen waren, und ging fort, begleitet von der Malinke-Magd, und führte die Überreste seiner Frau mit sich mit, die er in der Nähe seines neuen Hauses bestatten ließ. Sechs Monate später existierte, ohne dass Marcel bemerkt hätte, was auch immer da geschehen war, das Kolonialreich nicht mehr. Geschieht es so, dass Weltreiche vergehen, ohne dass auch nur ein Beben sich vernehmen ließe? Es ist nichts geschehen, das Kolonialreich existiert nicht mehr und Marcel weiß, da er seine Dienststelle in einem Pariser Ministerium antritt, dass dies auch für sein eigenes Leben gilt, in dem sich, und zwar für alle Zukunft, nie auch nur etwas wird ereignet haben. Alle erleuchteten Saumpfade sind erloschen, einer nach dem anderen, Oberstleutnant André Degorce kehrt nach seiner letzten Niederlage zurück in die Arme seiner Frau, auf der Suche nach der Erlösung, die ihm nie zuteilwerden wird, und die Menschen plumpsen zurück ins Gravitationsfeld ihres verwüsteten Landes. Die Zeit hat sich um die Hoffnung erleichtert und reiht unmerklich und leer in immer schnellerem Rhythmus Beerdigungen aneinander, die Marcel zurück ins Dorf rufen, als wäre seine einzige konstante Aufgabe auf dieser Welt es gewesen, die Seinen zu Grabe zu tragen, einen nach dem anderen, seine Frau ruht inzwischen auf Korsika, aber so lange schon ist sie tot, dass er fürchtet, nichts anderes ins Grab gelegt zu haben als einige Stücke lehmbedeckten morschen Holzes, und es starben seine älteren Schwestern, eine nach der anderen, in der exakt von der Weisheit des Personenstandes festgelegten Reihenfolge, in Paris, da wird der Wohlgeschmack der Einsamkeit mal um mal fader, der kühle Nieselregen hat die Insekten verjagt, die im weißen Licht der Sonne ihre Eier unter die Haut durchscheinender Lider legen, versiegelt die Kiefer der Krokodile, vorbei die epischen Kämpfe, mit schnöden Feinden heißt es nun sich zufriedengeben, Grippe, Rheuma, Abnutzung, kühler Durchzug in einer weitläufigen Wohnung im achten Arrondissement, in der, ohne Gründe dafür angeben zu wollen, Jacques sich geweigert hatte, mit ihm zu leben, denn er kann nicht zugeben, dass er eine abstoßende Leidenschaft hegt für diejenige, die er als seine Schwester ansehen müsste. Jacques ist fünfzehn Jahre alt, Claudie siebzehn, und Jeanne-Marie vergießt heiße Tränen, als sie erzählt, dass sie die beiden auf furchtbare Weise nackt erwischt habe und ineinander verschlungen in ihrem Kinderzimmer, sie wirft sich ihre Naivität vor, ihre schuldhafte Blindheit, sie wusste, wie sehr sie einander liebten, mit einer Liebe, die sie zärtlich dachte und geschwisterlich, und wie sehr sie sich dagegen wehrten, getrennt zu werden, aber sie habe darin nichts Böses gesehen, im Gegenteil, sie sei dümmlich davon ergriffen gewesen, wo sie doch an ihren Brüsten zwei geile Bestien ernährt habe, sie sei an allem Schuld, sie ziehe es vor, nicht zu wissen, wann alles angefangen habe, und die beiden

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