Untergrundkrieg
jetzt, trete ich aus. Doch so lange werde ich ausharren und nachdenken. Eins stimmt jedoch: Aum Shinrikyo hat aus den jüngsten Erfahrungen nichts gelernt. Sie stellen sich taub, tun, als wäre nichts gewesen. Keine Spur von Reue oder etwas Ähnlichem. Über den Sarin-Anschlag sagen sie nur: »Das war nicht meine Mission, das haben andere getan.«
Darüber denke ich anders, denn ich halte den Anschlag für etwas unfassbar Schlimmes. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Daher spielt sich in mir ein Konflikt ab, bei dem das Schreckliche heftig in Widerstreit mit den guten Erfahrungen steht, die ich bei Aum gemacht habe. Das lässt sich auch auf andere übertragen: Die Leute, bei denen das Gefühl für das Schreckliche überwiegt, treten aus, während diejenigen, bei denen die guten Erfahrungen stärker sind, bleiben. Ich stehe irgendwo in der Mitte und muss abwarten, wie die Sache sich entwickelt.
»Nostradamus hat einen starken Einfluss auf meine Generation«
Akio Namimura (geboren 1960)
Herr Namimura stammt aus der Präfektur Fukui. Sein Vater war bei einer Zementfirma beschäftigt; er hat einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester. Schon früh interessierte er sich für Literatur und Religion und hätte diese Fächer auch gern studiert, doch sein Vater wollte, dass er etwas anderes studierte, und ließ nicht mit sich reden. Daraufhin beschloss Herr Namimura trotzig: »Dann arbeite ich eben« und fing in einer Firma für Autoteile in Fukui an. Schon in der Schule hatte er nicht gern gelernt und lieber für sich gelesen. Nun zog er sich immer mehr zurück und beschäftigte sich fast nur noch mit Büchern, in denen es um Religion und Philosophie ging.
Seither hat er häufig den Arbeitsplatz gewechselt. Seine Freizeit verbringt er noch immer überwiegend mit Lesen. Außerdem schreibt er, denkt nach und beschäftigt sich weiterhin intensiv mit Religion. In seinem Leben hatte er meist das Gefühl, er könne keine Beziehung zu seiner Umwelt herstellen, und daher suchte er nach Verbindungen zu Menschen, die wie er keinen Zugang zur normalen Welt fanden. Doch das, was er auf seiner Suche entdeckte, enttäuschte ihn. Es wollte ihm einfach nicht gelingen, sich anderen Menschen zu öffnen. Das änderte sich auch nicht, als er Mitglied bei Aum wurde.
Heute lebt er wieder in seinem Heimatort und arbeitet bei einer Abschleppfirma. Er hat schon immer das Meer sehr geliebt und geht auch jetzt noch oft schwimmen. Er schwärmt für Okinawa. Die Filme von Hayao Miyazaki 27 rühren ihn zu Tränen. »Das beweist doch, dass ich ein menschliches Herz habe, oder?«, sagt er.
Als ich mit der Schule fertig war, dachte ich über zwei Alternativen nach: Entweder wollte ich Mönch werden oder mich umbringen. Der Gedanke an eine Arbeitsstelle war mir zuwider, und ich wollte, wenn irgend möglich, ein religiöses Leben führen. Andererseits bedeutet Leben auch immer, Schuld auf sich zu laden, und ich überlegte, ob es für die Welt nicht am besten sei, wenn ich gleich Selbstmord beginge.
Darüber grübelte ich unentwegt nach, während ich Reifen für die Firma verkaufte, bei der ich arbeitete. Als Vertreter war ich am Anfang eine absolute Null. Jedes Mal wenn ich an eine Tankstelle oder in eine Werkstatt kam, sagte ich »Guten Tag«, brachte dann kein Wort mehr heraus und stand nur noch wie angewurzelt da. Das war ziemlich peinlich für mich – und für meine Kunden auch. Also verkaufte ich am Anfang gar nichts.
Zum Glück gab es in der Firma ein paar nette Menschen. Zum Beispiel einen älteren Kollegen, der mich tröstete: »Bei mir war das am Anfang genauso, ich kriegte den Mund nicht auf und keiner kaufte mir was ab.«
Mit der Zeit gewöhnte ich mich ein bisschen an die Arbeit und verkaufte auch ein paar Reifen. Immerhin war das eine ganz gute Übung fürs Leben. Nach zwei Jahren kündigte ich, weil man mir den Führerschein abgenommen hatte und ich der Firma keine Unannehmlichkeiten machen wollte.
Ein Verwandter von mir hat eine Nachhilfeschule in Tokyo und bot mir an, bei ihm zu arbeiten. Eigentlich wollte ich ja Schriftsteller werden, aber er überredete mich: »Schriftsteller kannst du doch auch werden, während du Aufsätze korrigierst, oder?«
Also zog ich Anfang 1981 nach Tokyo und fing an seiner Schule an. Leider lief alles ganz anders ab, als wir es vereinbart hatten. »Schriftsteller? Dass ich nicht lache! Ein Träumer bist du, mehr nicht. Das Leben ist hart«, sagte mein Onkel plötzlich ganz kalt. Außerdem ließ
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