Untergrundkrieg
sagte sie. Aber in Fukui ging es mir auch nicht besser. Als hätte ich irgendein Trauma, das ich nicht loswerden konnte. Nichts konnte mich aufheitern. Einen ganzen Monat nach meiner Rückkehr arbeitete ich nicht und hing nur zu Hause rum.
Gerettet hat mich eigentlich eine Yuta, eine Schamanin aus Okinawa. Haben Sie Lightning Bird: One Man’s Journey into Africa von Lyall Watson gelesen? Das hat mich damals sehr berührt.
Murakami: Das ist wirklich ein interessantes Buch. Finde ich auch.
Boshier, die Hauptfigur, ist Epileptiker und schizophren. Doch er und andere, die so sind wie er, begegnen einem Lehrer, durchlaufen eine Initiation und werden Zauberer . Mit anderen Worten, ihre negativen Eigenschaften werden in positive umgewandelt. Die Menschen sehen jetzt zu ihnen auf. Darin erkannte ich mich wieder. Als ich mich weiter mit dem Thema beschäftigte, entdeckte ich, dass das Gleiche über die Yuta, die Schamanen auf Okinawa, geschrieben wird. Auf Okinawa gab es diesen Heilsweg noch. Ob ich vielleicht ein Yuta werden konnte? Die Voraussetzungen dazu hatte ich ja anscheinend. Endlich sah ich einen Ausweg.
Ich reiste nach Okinawa und suchte eine berühmte Yuta auf. Es waren auch noch zig andere Leute dabei, aber sie rief nur mich zu sich und sagte: »Du hast irgendeinen Kummer.« Als könnte sie in meinem Herzen lesen. »Du bist traurig wegen deines Vaters. Du musst loslassen. Wenn du dich nicht von ihm lösen kannst, ist das sehr schlecht für dich. Vergiss ihn. Tu einen Schritt nach vorn. Falls deine Mutter noch lebt, kümmere dich um sie. Deine wichtigste Aufgabe ist es, ein normales Leben zu führen.«
Als ich das hörte, wurde mir sofort leichter ums Herz. Ich fühlte mich gerettet. Danach blieb ich bei einer Firma, ohne jeden Sommer nach Okinawa abzuhauen. Ich beschloss, solide zu werden, fleißig zu arbeiten und für meine Mutter zu sorgen.
Murakami: Ich verstehe. Adrian Boshier musste in eine andere Welt hinübergehen, aber Ihr Weg führte zurück in die Wirklichkeit. Es wurde Ihnen sogar befohlen, in die Normalität zurückzukehren.
Genauso war es. Eine normale Ehe, Kinder, ein ganz normales Leben ist auch eine Übung. Vielleicht sogar die allerschwerste.
Ich beschäftige mich schon lange mit Religion und habe mich viel umgeschaut. Zum Beispiel interessiere ich mich sehr für das Christentum und ich war, wie gesagt, auch mal bei Soka Gakkai. Ich besuche noch immer regelmäßig eine christliche Kirche. Aum beanspruchte also nur einen kleinen Teil meines Lebens. Dennoch war das ein ganz schöner Schlag. Es hat mir gezeigt, welche Macht Aum hatte.
Als ich 1987 von Aum erfuhr, ließ ich mir Informationsmaterial schicken. Postwendend kriegte ich einen dicken Stapel Hochglanzbroschüren. Ich war ziemlich erstaunt über das aufwendige Material und wunderte mich, woher eine erst vor kurzem gegründete Gemeinschaft das Geld dafür hatte. Damals gab es noch keine Ortsgruppe von Aum in Fukui, aber in Sabae, einem Nachbarort, hatten sie eine. Einmal in der Woche stellte ein Mann namens Omori den Aum-Mitgliedern seine Wohnung für ihre Versammlungen zur Verfügung. Sie luden mich dazu ein, und eine Zeit lang ließ ich mich hin und wieder bei ihnen blicken. Sie zeigten mir die Videoaufnahme von einem Interview, das in »Live bis zum Morgen« – diese Sendung, die die ganze Nacht im Fernsehen läuft – gezeigt worden war. Ich war ziemlich davon beeindruckt, wie wortgewandt Joyu war.
In der Sendung erklärte er, dass die Anhänger von Aum asketische Praktiken des ursprünglichen Buddhismus einsetzten, um ihre Kundalini zu wecken. Auf alle Fragen wusste er klare, einleuchtende Antworten. Ich fühlte mich von diesem Mann und seiner Gemeinschaft stark angezogen.
Alle anderen Teilnehmer der Treffen in Sabae – insgesamt fünf oder sechs Personen – waren bereits Mitglieder von Aum. Ich war immer noch nur Beobachter, aber eigentlich lag es am Geld, dass ich noch nicht eingetreten war, denn Aum war ziemlich teuer. Man musste einen obligatorischen Kurs kaufen, der aus Kassetten mit Predigten von Asahara bestand, die 300.000 Yen [ca. 3000 Euro] kosteten. Sie hatten angeblich eine starke Wirkung. Alle fanden das billig im Verhältnis zu den Kräften, die man dadurch erlangte, und blätterten das Geld hin, ohne mit der Wimper zu zucken. Mich beunruhigte dieser Preis. Das kam aber vielleicht daher, dass ich immer arm war und deshalb ziemlich knickrig bin.
Das erste Mal sah ich Shoko Asahara in Nagoya. Wir waren
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