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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Naminomura und arbeitete als Fernfahrer. Ich fuhr mit einem Viertonner in ganz Japan umher und holte Fertigbauteile. Gar kein schlechter Job. Die Leute auf dem Bau mussten in der glühenden Sonne arbeiten, dagegen war Lasterfahren die reinste Erholung.
    Im Vergleich zum weltlichen Leben war das Dasein bei Aum eine Tortur. Aber je schwerer es war, desto befriedigender war es auch, und ich war ziemlich dankbar, weil meine inneren Leiden verschwunden waren. Außerdem hatte ich viele Freunde: Erwachsene, Kinder, alte Damen, Männer und Frauen. Bei Aum streben alle nach geistiger Vervollkommnung, somit hatten wir das gleiche Ziel und grundlegende Gemeinsamkeiten. Bisher hatte ich mich notgedrungen immer angepasst, um mit anderen auszukommen und es ihnen recht zu machen. Das war jetzt nicht mehr nötig.
    Auch meine Zweifel waren verschwunden, denn alle meine Fragen wurden beantwortet. Nichts blieb offen. Wenn man dieses tut, geschieht jenes. Auf jede Frage erhielten wir sofort eine Antwort. Ich war völlig in dieses Leben eingebunden ( lacht ). Darüber berichten die Medien nie – für die fällt das alles unter Gehirnwäsche, aber darum handelte es sich in Wirklichkeit gar nicht. Außerdem wollen die sowieso nur die Einschaltquoten ihrer Talkshows steigern, sie versuchen gar nicht, die Dinge richtig darzustellen.
    Von Naminomura kehrte ich in die Zentrale am Fuji zurück und arbeitete dort am Computer. Hideo Murai war auch dort, und ich sprach gelegentlich mit ihm. Als ich ihm sagte, es gebe ein paar Dinge, die ich am Computer gern erforschen würde, sagte er, fast desinteressiert: »Erforschen Sie, was Sie wollen.« Er war ganz damit beschäftigt, die Anordnungen von oben auszuführen.
    Murakami: Mit »oben« meinen Sie Shoko Asahara?
    Genau. Herr Murai versuchte sein Ego so weit wie möglich zu unterdrücken. Es war ihm völlig egal, ob jemand unter ihm eine neue Idee hatte. Aber er hatte auch nichts dagegen, wenn wir etwas erforschen wollten.
    Ich hatte den Rang eines »Meistergehilfen«. Das ist der höchste, den man unterhalb der Führungsspitze erreichen kann, so etwas wie ein Abteilungsleiter in einer Firma. Eigentlich nicht sehr beeindruckend. Trotz meiner Position hatte ich niemanden unter mir. Ich hatte das Gefühl, ganz für mich allein zu arbeiten. Das war bei vielen so. Den Medien zufolge standen wir ständig unter strenger Überwachung – wie die Leute in Nordkorea oder so –, aber in Wirklichkeit gab es sehr viele, die ganz frei tun und lassen konnten, was ihnen passte. Und natürlich konnten wir kommen und gehen, wie wir wollten. Privatautos gab es nicht, aber man konnte sich jederzeit eins leihen.
    Murakami: Aber später gab es doch immer mehr vorsätzliche Gewalt: die Morde an Rechtsanwalt Sakamoto und seiner Familie, Lynchjustiz, der Sarin-Anschlag in Matsumoto. Hatten Sie wirklich keine Ahnung, was da im Gange war?
    Es herrschte irgendwie eine unruhige Atmosphäre, und es roch nach etwas Verdächtigem, Geheimnisvollem – mehr nicht. Aber selbst wenn ich etwas bemerkt hätte, hätte ich damals bestimmt stur gesagt, dass die Vorzüge für uns persönlich alles Schlechte aufwiegen würden. Den Berichten in den Medien schenkte ich ohnehin keinen Glauben, ich hielt sie für manipuliert. Aber seit vorletztem Jahr [1996] überlege ich mir, ob diese Dinge nicht doch passiert sein könnten.
    Früher konnte ich mir nicht vorstellen, dass eine Gruppe wie unsere einen Mord so viele Jahre geheim halten konnte. Für so etwas waren wir einfach zu schlecht organisiert. Es war wie im Kommunismus; auch wer Fehler machte, wurde nicht rausgeschmissen. Was wir taten, nannte sich zwar Arbeit, aber wir bekamen ja kein Gehalt. Es herrschte nicht gerade Verantwortungslosigkeit, aber es fehlte doch entschieden an persönlichem Verantwortungsgefühl. Alles war nur sehr unklar und vage geregelt. Solange man auf geistiger Ebene Fortschritte machte, zählte das andere nicht. Da die meisten Menschen in der normalen Welt eine Frau und eine Familie haben, müssen sie ein gewisses Verantwortungsgefühl entwickeln und ihre Aufgaben wahrnehmen, so gut sie können. Aber dieses Moment fehlte bei Aum fast vollständig.
    Stellen Sie sich vor, man braucht auf einer Baustelle bis zum nächsten Tag ein Stahlgerüst, und das wird nicht rechtzeitig geliefert. Aber die zuständige Person sagt dazu nur: »Ach, stimmt ja, hab ich doch glatt vergessen.« Und damit hat sich die Sache. Vielleicht wird der Betreffende ein bisschen angeraunzt, aber

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