Untergrundkrieg
schwächsten Symptome. Vielleicht weil ich so früh schon draußen war. Herr Ohori war danach noch ewig im Krankenhaus.
Nach der Infusion ging ich mit ein paar Kollegen zum Bahnhof zurück. Wir setzten uns ins Dienstzimmer der Marunouchi-Linie und besprachen alles Mögliche. Es war schon Abend, bis ich endlich nach Hause kam. Ein langer Tag. Ich nahm mir den nächsten Tag frei. Am 22. März hatte ich wieder die 24-Stunden-Schicht.
Ehrlich gesagt, sind meine Erinnerungen an den Giftgasanschlag ziemlich lückenhaft. An die ein oder andere Einzelheit kann ich mich sehr deutlich erinnern, anderes ist ganz verschwommen. Vielleicht weil ich so aufgeregt war. Wie Herr Takahashi zusammengebrochen ist und wir ihn ins Krankenhaus gebracht haben, weiß ich noch genau. Alles andere ist undeutlich.
Ich war nicht besonders eng befreundet mit Herrn Takahashi. Er war der stellvertretende Stationsvorsteher und ich nur einer von den Jungen, also war unsere Stellung sehr unterschiedlich. Sein Sohn arbeitet auch bei der Bahn, an einer anderen Station, und ist etwa in meinem Alter. Herr Takahashi hätte also mein Vater sein können. Aber wenn ich direkt mit ihm sprach, habe ich den Altersunterschied nie so stark empfunden. Er war kein Mensch, der auf solchen Unterschieden bestand. Alle mochten ihn wegen seiner Gelassenheit. Gegenüber den Fahrgästen war er auch immer höflich und freundlich.
Der Anschlag hat mich nie so belastet, dass ich es nicht mehr aushalten konnte und mir gewünscht hätte, irgendwo anders zu arbeiten. Ich arbeite seit meiner Einstellung hier am Bahnhof Kasumigaseki. Ich habe zwar keine Vergleichsmöglichkeit, aber mir gefällt es hier irgendwie am besten.
»Da war Herr Takahashi noch am Leben«
Minoru Miyata (54)
Herr Miyata arbeitet seit sechs Jahren als Fahrer für TV Tokyo. Er verbringt oft viele Stunden in Bereitschaft, bis ein Auftrag hereinkommt und er die Ausrüstung für Außenaufnahmen so schnell wie möglich zum Ort des Geschehens transportieren muss. Er ist jedoch nicht fest angestellt. Oft geht es in seinem Beruf um Sekunden, und es kann auch vorkommen, dass er plötzlich von Tokyo nach Hokkaido fahren muss. Kein leichter Job.
Herr Miyata arbeitet seit 1965 als Fahrer. Schon als Kind hat er sich für Autos interessiert, und wenn er über sein Lieblingsthema spricht, leuchtet sein Gesicht förmlich auf. Er hatte kaum je einen Unfall, und auch Strafzettel sind für ihn eine Seltenheit. Als er die Opfer des Sarin-Anschlags ins Krankenhaus brachte, konnte er es jedoch nicht vermeiden, die eine oder andere Regel zu brechen.
Er ist in Tokyo geboren und aufgewachsen, ist verheiratet und hat ein Kind. Sein Alter von fast fünfundfünfzig sieht man ihm nicht an. Er spricht rasch, aber deutlich. Er entscheidet schnell, und seine Tatkraft hat bei dem Anschlag vielen geholfen.
Ich fahre einen Toyota-Bus (Hi-Ace). Auf der Seite steht groß der Name des Senders. Er ist mein Einsatzwagen. Die Teams wechseln öfter, aber der Bus bleibt immer der Gleiche, vollgepackt, bereit zum Ausrücken, wenn irgendwo etwas los ist. Regulär geht meine Arbeitszeit von 9.30 bis 18.00 Uhr, aber manchmal mache ich Überstunden oder werde mitten in der Nacht gerufen. Das kommt aber nicht so häufig vor.
Als Fahrer muss man Profi sein. Wenn ein anderer Sender schneller ist, gibt es Ärger. Ein Auto kann nur so schnell fahren, wie es eben fährt. Deshalb muss man, wenn man schnell sein will, die voraussichtlich weniger befahrene Route nehmen. In meiner Freizeit studiere ich gern Karten und Stadtpläne und versuche, mir die kleineren Straßen zu merken. Ich kenne die gesamte Region wie meine Westentasche und fast jeden Weg, auch wenn ich ihn das erste Mal fahre.
Beinahe jeden Tag passiert irgendetwas. Zu tun gibt es immer. Auf die faule Haut legen kann ich mich nicht (lacht).
Am 20. März waren wir ab 8.30 vor Ort. Eigentlich war ich mit einem Kameramann auf dem Weg nach Ueda gewesen. Es ging um Börsengeschäfte, aber da es sich nur um eine Recherche handelte, bestand keine Eile. Ich hatte vor, von der Kreuzung Kamiyacho geradeaus zur Kreuzung Showa-Dori zu fahren, aber an der ersten Kreuzung war schon der Teufel los. Ich überlegte, was denn los sein könnte, und fuhr langsamer, um zu schauen. »Kann passieren, dass sie uns hierher abkommandieren, bevor wir in Ueda ankommen«, meinte der Kameramann. Wir waren zu dritt im Wagen, der Kameramann, sein Assistent und ich. Also fuhren wir noch langsamer.
Kurz vor dem
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