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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Verletzte unterwegs waren, noch weniger, woher und weshalb. Die Ärzte tappten völlig im Dunkeln. Wussten nicht, was zu tun war. Inzwischen war es nach halb elf, das heißt, seit dem Anschlag war eine Ewigkeit vergangen. Und das Krankenhaus war nicht informiert, was passiert war. Wir hatten anscheinend die ersten Opfer des Anschlags gebracht.
    Der junge Bahnbeamte tat mir richtig leid. Vor seinen Augen wurde über Leben und Tod seines Kollegen oder Vorgesetzten entschieden. Verzweifelt rief er immer wieder: »Schnell, schnell, bitte, untersuchen Sie ihn.« Ich war selbst so besorgt, dass ich noch über eine Stunde vor dem Krankenhaus herumstand. Als sich nichts tat, fuhr ich schließlich zurück zum Tatort. Seit damals bin ich nicht mehr im Hibiya-Krankenhaus gewesen, und den jungen Bahnbeamten habe ich auch nie wieder gesehen. Abends erfuhr ich, dass Herr Takahashi gestorben war. Das tat mir sehr leid. Ein Mensch, den ich gefahren hatte, war gestorben.
    Ob ich zornig auf die Aum-Sekte bin? Nein, direkt zornig kann ich nicht sagen. Verständnislos eher. Was soll so was? Das ist doch absurd. Diese Leute behaupten, nur getan zu haben, was ihr Anführer Asahara ihnen gesagt hat, also auf Befehl gehandelt zu haben, aber trotzdem sind sie doch die Täter. Also müssen sie vor Gericht gestellt werden und mit der Todesstrafe rechnen.
    Ich bin beruflich mehrmals in ihrem Hauptquartier in Kamikuishiki gewesen. Der größte Teil der Anhänger dort wirkte irgendwie weggetreten, so als fehle ihnen die Seele. Sie weinen nicht, und sie lachen nicht. Ausdruckslos wie No-Masken. Ich vermute, das kommt von der Gehirnwäsche. Aber die das Sagen haben, sind anders. Die haben sehr wohl einen Ausdruck, die denken auch. Sie lachen, sie weinen. Bei denen gab’s keine Gehirnwäsche. Sie haben die Anweisungen gegeben. Sie haben sich mit Asahara zusammengetan, um ihren »Höchsten Staat« zu errichten. Für sie gibt es keine Rechtfertigung und keine Entschuldigung. Vielleicht wäre es am besten, alle Drahtzieher zum Tode zu verurteilen?
    Wenn man so lange für die Medien gearbeitet hat wie ich, hat man eine Menge gesehen. Ich bin sogar nach dem Erdbeben in Kobe gewesen. Trotzdem war der Sarin-Anschlag anders als alles andere – die reinste Hölle. Sicher, es gab viele Probleme durch die Art der Berichterstattung, die ganze Sensationsmache und so. Aber eins ist sicher: hier wurde ein Alptraum Wirklichkeit.

»Ich bin kein Opfer, ich bin ein Mensch mit einer außergewöhnlichen Erfahrung«
Toshiaki Toyoda (52)
    Herr Toyoda stammt aus der Präfektur Yamagata und hat am 20. März 1961 – also auf den Tag genau vierunddreißig Jahre vor dem Sarin-Anschlag – bei der U-Bahn angefangen. »Nach der Schule bin ich buchstäblich nur mit einem Futon aus meinem Dorf nach Tokyo gekommen«, erzählt er. Eigentlich hatte er kein besonderes Interesse an der U-Bahn, aber durch die Vermittlung eines Verwandten bekam er dort Arbeit. Seither macht er Dienst auf dem Bahnsteig. An seiner Aussprache hört man immer noch ein bisschen, dass er aus Yamagata kommt.
    Während unseres Gesprächs musste ich ständig an das Wort »Berufsethos« denken. Oder besser »Bürgerethos«. Seine vierunddreißig Dienstjahre erfüllen ihn mit Stolz und haben ihn zu einem Menschen gemacht, auf den andere sich verlassen können. Er ist ein Mann, der seinen Beruf ernst nimmt, und ein pflichtbewusster Mitbürger.
    Aus dem, was Herr Toyoda mir erzählte, gewann ich den Eindruck, dass seine beiden Kollegen, die unglücklicherweise ums Leben kamen, als sie das Sarin beseitigen wollten, seine Wertmaßstäbe mehr oder weniger teilten.
    Zweimal pro Woche geht er joggen, sodass er keine Schwierigkeiten hat, auch die körperlichen Arbeiten auszuführen, die der Dienst am Bahnhof erfordert. Er nimmt sogar an sportlichen Wettkämpfen teil. Es macht ihm Spaß, die Arbeit zu vergessen und einmal richtig ins Schwitzen zu kommen.
    Während der vier Stunden, die unser Gespräch dauerte, beklagte er sich kein einziges Mal. »Ich möchte meine Schwäche überwinden und den Anschlag bald vergessen«, sagt er. Doch das ist vielleicht gar nicht so einfach.
    Seit ich Herrn Toyoda interviewt habe, beobachte ich, wenn ich mit der U-Bahn fahre, die Beamten auf den Bahnsteigen mit großer Aufmerksamkeit. Sie haben wirklich keinen leichten Beruf.

    Als Erstes möchte ich betonen, dass ich eigentlich möglichst wenig über diese Sache sprechen will. Ich habe die Nacht vor dem Anschlag mit dem verstorbenen

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