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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Höllenfürst persönlich auf, eine Trommel geschlagen und Messingglocken geläutet. Dazu schrie jemand mit überschnappender Stimme: »Askese! Askese! Es gibt kein Zurück, haltet durch« oder so was. Aber eines Tages, als sie mich holten, packten mich Shiha (Takashi Tomita) und Satoru Hashimoto und hielten mich fest, während Niimi mir Mund und Nase zuhielt, sodass ich überhaupt nicht mehr atmen konnte. »Du verachtest deine Oberen«, schrieen sie. Sie wollten mich umbringen. Ich nahm meine ganze Kraft zusammen, und es gelang mir, mich loszureißen. »Ich strenge mich doch schon an, so gut ich kann! Warum macht ihr das?«, brüllte ich sie an. Danach beruhigte sich die Stimmung etwas, und ich durfte in meine Zelle zurück. Aber danach waren die Typen für mich endgültig erledigt.
    Anschließend durchlief ich in der Einzelhaft mehrere Male die so genannte »Christus-Initiation«, die große Ähnlichkeit mit einem Menschenversuch hatte. Wenn Niimi mir die Droge verabreichte, sah er mich an, als wäre ich sein Versuchskaninchen. »Trink!«, sagte er völlig ungerührt und kalt. Ich sah, wie Jivaka [Seiichi Endo] und Vajira Tissa [Tomomasa Nakagawa] ihre Runde durch die Zellen machten. Wegen der Drogen war ich ziemlich daneben, aber daran erinnere ich mich noch ganz deutlich. Sie beobachteten die Reaktionen der Leute auf die Droge. Da wurde mir klar, dass sie die Leute in Einzelhaft für ihre Drogenexperimente benutzten. Gesund und lebendig hatten wir keinen Wert für sie, also sollten wir wenigstens als menschliche Versuchsobjekte Verdienste erwerben. Als mir das bewusst wurde, dachte ich lange und gründlich über mein Schicksal nach.
    Sollte ich jetzt einfach hier zugrunde gehen? Als menschliches Versuchskaninchen sterben? Dann wollte ich doch lieber wieder ein weltliches Leben führen. Die Alternative wäre doch zu schrecklich, zu unmenschlich. Entsetzt fragte ich mich, was aus Aum geworden war.
    Nach der Drogen-Initiation ließen sie die Türen offen. Alle waren ja so fertig, dass sie nicht abhauen konnten. Ich war zum Glück nicht ganz so kaputt, also legte ich mir ein paar saubere Sachen zurecht, vergewisserte mich, dass die Luft rein war, zog mich um und schlich mich aus dem Gebäude. Es gab zwar ein paar Wachen, aber ich schaffte es, an ihnen vorbeizukommen und zu flüchten.
    [Herr Masutani lieh sich von einem Einheimischen Geld für den Bus und fuhr zu seinen Eltern nach Tokyo. Einen Monat nach seiner Flucht erfuhr er, dass er aus Aum ausgestoßen worden war. Ohne Begründung, sagt er.]
    Also nahm ich mein weltliches Leben wieder auf, nicht weil mir etwas daran lag, sondern weil ich kein Aum-Anhänger mehr sein konnte. Ehrlich gesagt, ich zog wieder zu meinen Eltern, weil ich sonst nirgendwohin konnte. Meine Eltern waren natürlich hochbeglückt, dass ich wieder bei ihnen war, aber ich hatte schon fünf Jahre ohne emotionale Bindung an sie verbracht und fühlte mich nicht besonders zu Hause. Das normale Leben befriedigte mich nicht, aber meine Eltern konnten das nicht verstehen. Also gab es großen Krach, wir stritten uns ständig, bis ich am Ende auszog.
    Murakami: Davor – im März 1995 – hatte der U-Bahn-Anschlag stattgefunden. Wie standen Sie dazu?
    Am Anfang glaubte ich nicht, dass es Aum gewesen war. Klar, sie hatten ständig Tantra-Vajrayana gepredigt, und die Atmosphäre war auch mehr als seltsam geworden, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie so weit gehen würden, Sarin einzusetzen. Ein Verein, der nicht mal Kakerlaken tötet! Als ich noch bei Aum war, kursierten oft Geschichten über irgendwelche komischen Missgeschicke des »Ministeriums für Wissenschaft und Technik«. Schon deshalb traute ich ihnen die Durchführung einer so komplizierten Sache nicht zu. Den Medien zufolge war der Anschlag zweifelsfrei das Werk von Aum, aber Aum und Fumihiro Joyu leugneten damals noch jeden Zusammenhang. Zuerst glaubte ich ihnen, aber als im Laufe der Untersuchungen immer mehr Ungereimtheiten zutage traten, kamen mir Zweifel. Ich las noch einmal in meinem Tagebuch die Aufzeichnungen aus der Zeit, als ich anfing, mich innerlich von Aum zu lösen. Da war ich auf einmal überzeugt, dass Aum den Anschlag verübt hatte.
    Obwohl ich nicht mehr an Aum glaubte und sogar geflüchtet war, konnte ich mich nicht an das Alltagsleben gewöhnen. Das Ideal von Aum, profane Begierden zu überwinden, fand ich immer noch edler als die Profitgier in der normalen Gesellschaft. Ich begann darüber nachzudenken, was es

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