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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Einfluss dieser Erfahrungen auf mich war sehr stark. Ich versuchte mit meinen Eltern darüber zu sprechen, aber sie verstanden nicht so recht, was ich sagen wollte.
    Ich war vielleicht ein bisschen introvertiert, aber ich hatte Freundschaften und ging ganz normal zur Schule. Ich lernte nicht besonders gern, aber in Fächern, die mich interessierten – Japanisch zum Beispiel –, strengte ich mich an. Ich las auch sehr gern, vor allem Science-Fiction und Fantasy. Die Bücher bekam ich von meinen Brüdern. Auch viele Comics. Zeichentrickfilme mochte ich auch sehr. In Mathematik war ich schlecht, und aus Sport machte ich mir auch nicht viel.
    Meine Mutter ermahnte mich oft, mehr zu lernen. Denn wenn man lernt, kann man auf eine gute Schule gehen, und wenn man auf einer guten Schule war, bekommt man eine gute Stelle. Was Eltern eben so sagen. Ich hatte, ehrlich gesagt, wirklich kein Interesse an der Schule. Im Schulwissen konnte ich keinen Wert erkennen.
    In meinen Träumen erlebte ich alle möglichen Abenteuer und reiste durch verschiedene Welten. Eine Zeit lang machte mir das Spaß, aber nichts davon schien von Dauer zu sein, irgendwann zerfiel alles. Ich erlebte Kriege, in denen viele Menschen umkamen. Ich spürte den Schrecken des Todes und eine tiefe Trauer, dass diese Menschen umgekommen waren. Mit der Zeit erkannte ich, dass die Welt vergänglich ist, dass nichts Bestand hat und die Folge dieser Unbeständigkeit Leid ist.
    Murakami: Für Sie gab es also neben der realen Welt noch eine andere Welt. Und Ihre emotional aufgeladenen Erfahrungen in der Parallelwelt haben Sie zu diesem Schluss geführt?
    Ja. Ich habe noch nie den Tod eines mir nahe stehenden Menschen erlebt, aber wenn ich im Fernsehen kranke oder sterbende Menschen sah, begriff ich, dass auch die wirkliche Welt vergänglich ist. Auch hier herrscht Leiden. Das hatten beide Welten gemeinsam.
    Ich ging auf eine staatliche Oberschule in Kanagawa. Die Gesprächsthemen waren auf einmal ganz andere als in der Mittelschule. Meine Mitschülerinnen redeten über Jungen, Liebe, Mode, wo es gute Karaoke-Boxen gab und so weiter, aber ich sah darin keinen Wert und stand darum immer außerhalb. So blieb ich meist für mich und las. Außerdem schrieb ich. Weil meine Träume Geschichten waren, hatte ich das Gefühl, ich brauchte sie nur niederzuschreiben, und ein Buch würde entstehen. Machen das manche Schriftsteller nicht auch so? Sie haben im Traum eine Idee und machen einen Roman daraus?
    Ich war auch nicht daran interessiert, einen Freund zu haben. Wenn die anderen Mädchen Freunde hatten, beneidete ich sie nicht. Auch darin sah ich keinen Wert.
    Als ich sechzehn war, lieh mein Bruder mir ein paar Bücher über Aum. »Die sind ganz gut«, sagte er. Ich glaube, es waren »Jenseits von Leben und Tod«, »Initiation« und »Mahayana-Sutra«. Beim Lesen wurde mir klar: »Genau das habe ich gesucht.« Ich trat sofort in Aum Shinrikyo ein.
    In den Büchern stand, dass man befreit sein müsse, um das wahre Glück zu finden. Durch die Befreiung könne man ewige Glückseligkeit erlangen. Selbst wenn ich in meinem Leben glücklich bin, wird das nicht ewig so bleiben, denn das Leben ist vergänglich. Aber wäre es nicht herrlich, wenn das Glück für immer andauern würde? Nicht nur für mich, sondern für alle Menschen. Das Wort Befreiung übte eine starke Anziehungskraft auf mich aus.
    Murakami: Was verstehen Sie unter »Glück«?
    Zum Beispiel die Freude, die es bedeutet, mit Freunden oder der Familie zu plaudern. Gespräche sind für mich sehr wichtig. Andere Vergnügen interessieren mich kaum.
    Wenn Sie mich fragen, was »Erlösung« oder »Befreiung« bedeutet, kann ich das ganz einfach erklären: Es gibt Leiden, und Erlösung ist Befreiung vom Leiden. Erlösung bedeutet, von den Leiden der vergänglichen Welt befreit zu sein. In den Büchern waren Askese-Übungen beschrieben, die zur Erleuchtung führen, und ich habe, bevor ich Mitglied wurde, eine Weile täglich allein für mich praktiziert. Ich machte zu Hause Asana [Yoga] und Atemübungen.
    Meine beiden Brüder hatten die Bücher ebenfalls gelesen und fühlten sich zu Aum hingezogen. Wir drei denken oft ähnlich. Mein älterer Bruder erlebte fast die gleichen Träume wie ich, nur nicht so intensiv.
    Also machten wir uns zu dritt auf den Weg zum Dojo nach Setagaya und baten am Empfang um Anmeldeformulare. Da wir uns schon fest entschieden hatten, Mitglieder zu werden, fingen wir gleich an, Namen und Adresse

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