Untergrundkrieg
verkaufen wir unser Brot an Samana und Laienmitglieder. Wir backen zweimal pro Woche und liefern selbst aus. So kommen wir einigermaßen über die Runden. Im Augenblick verkaufen wir gar nichts an Außenstehende.
Die Polizei beobachtet auch jetzt noch unser Haus. Sie überprüfen die Leute, die in unseren Laden kommen, und sagen ihnen, dass der Laden Aum gehört. Vielleicht müssen sie ja auch einfach demonstrieren, dass sie etwas unternehmen. Manchmal bitten sie auch um Brot, und wir geben ihnen welches. Wenn sie mehr wollen, sagen wir: »Dann kaufen Sie es bitte.«
Manchmal bringen wir unseren Nachbarn ein bisschen Kuchen vorbei und halten auch mal ein Schwätzchen. »Wir hatten schon Angst, dass Sie hier seltsame Sachen veranstalten, aber anscheinend backen Sie ja wirklich nur Brot und Kuchen«, sagen dann manche. Die Medien haben großen Einfluss.
Murakami: Wie denken Sie jetzt, nachdem Sie Satyam 6 verlassen haben und wieder in der Gesellschaft leben, über den Sarin-Anschlag und den Mord an der Familie Sakamoto? Immerhin steht fest, dass Aum Shinrikyo diese Taten begangen hat.
Für mich ist die Kluft zwischen dem Bild, das die Gesellschaft von Aum hat, und den Erfahrungen, die ich selbst in meinem Leben in der Gemeinschaft gemacht habe, auch jetzt noch riesig, und ich weiß nicht, wie ich beides in Einklang bringen kann, wie ich urteilen soll.
Inzwischen glaube ich das meiste, das über den Anschlag gesagt wird. Andererseits verändern sich die Aussagen ständig. Ich bin immer noch unsicher, was davon stimmt und was nicht.
Murakami: Die Zeugenaussagen variieren nur in Einzelheiten – wer was wann und zu wem gesagt hat –, aber daran, dass die fünf Aum-Führer Sarin in der U-Bahn freigesetzt haben, um eine unbestimmte Zahl von Fahrgästen zu töten, gibt es keinen Zweifel. Ich möchte Ihre Meinung über den Anschlag wissen. Es geht mir nicht darum, Sie persönlich zu beschuldigen. Ich möchte nur wissen, was Sie über den Anschlag denken.
Na ja, ich kann es einfach nicht glauben, mir nicht vorstellen. Ich habe in meinem Leben als Nonne nie ein einziges Lebewesen getötet. Keine Kakerlake und keinen Moskito. Daran halte ich mich bis heute. Und die anderen, die ich kenne, auch. Es ist unfassbar für mich, wie so etwas geschehen konnte.
In den Predigten wurde auch über Tantra-Vajrayana gesprochen, aber ich habe das nie in Bezug zur Wirklichkeit gesehen. Ich habe nicht danach gehandelt oder so. Für mich war Tantra-Vajrayana nur ein abstrakter Teil der umfassenden Lehre.
Der Guru war für mich eine Person, die mir half, wenn ich mit meinen asketischen Übungen nicht weiterkam. Ein Lehrer. In diesem Sinne war seine Existenz notwendig für mich.
Murakami: War er für Sie eine absolute Instanz? Waren Sie eine bedingungslose Anhängerin?
Absolut … na ja. Es kam natürlich vor, dass der Gründer mich gefragt hat: »Traust du dir dieses oder jenes zu?« Aber in solchen Fällen habe ich selbst entschieden und dann auch geantwortet: »Nein, das ist zu schwierig für mich.« Ich habe nicht einfach nur zu allem Ja gesagt, und so habe ich es auch bei anderen gesehen. Deshalb hatte ich auch nicht den Eindruck, dass er eine absolute Instanz war. Das ist ein Bild, das die Medien geschaffen haben.
Aber die Menschen sind eben verschieden. Bestimmt gab es Leute, die zu allem Ja sagten, aber es gab auch viele, die nach ihren eigenen Vorstellungen handelten.
Murakami: Und wenn Sie in die Lage der Attentäter geraten wären? Wenn der Gründer für Sie der absolute Guru gewesen wäre, der Einzige, der Sie führen konnte, und er hätte gesagt: »Tu es!«?
Auch die Leute, die den Sarin-Anschlag verübt haben, sind selbstbewusste Persönlichkeiten, das weiß ich aus eigener Anschauung. Es sind Menschen mit einer eigenen Meinung, die sie auch laut vor anderen äußern. Deswegen kann ich Ihrer Frage nicht ohne weiteres folgen. Wenn ich daran denke, wie diese Leute in der Gemeinschaft aufgetreten sind, kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, dass sie so etwas getan haben. Ich wäre höchstens überzeugt, wenn ich mit eigenen Augen gesehen hätte, dass sie es waren. Bisher habe ich so viel Widersprüchliches gesehen und gehört, dass ich nicht sicher bin, ob das alles wirklich so stattgefunden hat.
Auch in den Gerichtsverhandlungen gegen den Gründer sehe ich zu viele Ungereimtheiten. Im Augenblick kann ich nur abwarten. In diesem Stadium kann ich kein Urteil fällen, bevor nicht der Gründer Klarheit geschaffen hat.
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