Untergrundkrieg
aus. Neben der Diät praktizierte ich drei Monate lang die in dem Buch beschriebenen Übungen. Jeden Tag vier Stunden. Wenn ich mir einmal etwas vorgenommen habe, dann konzentriere ich mich voll darauf.
Dabei ging es mir weniger um die Erweckung meiner Kundalini als um die Wiederherstellung meiner Gesundheit. Nach etwa zwei Monaten spürte ich Vibrationen an der Wurzel meiner Wirbelsäule – die kündigen das Erwachen der Kundalini an. Aber ich war noch immer nicht überzeugt. Doch plötzlich spürte ich Hitze wie kochendes Wasser in Spiralen meine Wirbelsäule hinaufsteigen. Dann hatte ich so ein Gefühl, als würden in meinem Hirn sämtliche Sicherungen durchbrennen. Ich bin ganz schön erschrocken. In meinem Körper spielte sich etwas Extremes ab, auf das ich keinen Einfluss mehr hatte. Ich verlor sogar das Bewusstsein.
Genau wie es in Shoko Asaharas Buch stand, hatte ich innerhalb von drei Monaten meine Kundalini erweckt. Was er sagte, stimmte. Mein Interesse an Aum wuchs. Gerade war die fünfte Ausgabe der Zeitschrift Mahayana erschienen. Ich kaufte sie mir samt allen vorherigen Nummern und verschlang sie regelrecht. Sie brachten Fotos und Erfahrungsberichte von einigen sehr interessanten, bemerkenswerten Personen. Wenn diese Leute Asahara verehrten, musste er schon ein »Erleuchteter Meister« sein.
Am besten gefiel mir an den Büchern von Aum, dass darin ganz deutlich stand: »Die Welt ist schlecht.« Allein diesen Satz zu lesen, machte mich richtig glücklich. Ich war schon lange der Ansicht gewesen, man müsste diese scheußliche, ungerechte Gesellschaft zerstören, und hier stand es nun schwarz auf weiß. Aber statt die Welt einfach zu vernichten, hatte Shoko Asahara einen anderen Weg anzubieten: »Wer durch Askese zur Befreiung gelangt, hat die Macht, diese schlechte Welt zu verändern.« Dieser Satz erfüllte mich mit heiligem Eifer. Ich wollte Jünger dieses Mannes werden und alles für ihn tun. Für ihn wollte ich sogar alle irdischen Träume, Hoffnungen und Wünsche begraben.
Murakami: Sie haben gesagt, die Welt sei ungerecht. Was konkret empfinden Sie als besonders ungerecht?
Vor allem angeborene Begabung oder eine gute Herkunft. Wer intelligent ist, ist eben intelligent, wer schnell laufen kann, kann schnell laufen. Daran ist nicht zu rütteln. Aber die Menschen, die bestimmte Schwächen haben, kommen nie ans Licht. Dieses Schicksalhafte fand ich schon immer ungerecht. Aber in Shoko Asaharas Büchern wird dieser Zustand als unser »Karma« erklärt. Wenn ein Mensch in seinem früheren Leben Schlechtes getan hat, muss er jetzt leiden; hat er Gutes getan, lebt er demzufolge in besseren Umständen und kann seine Fähigkeiten voll entwickeln. Als ich das las, ging mir ein Licht auf. Von nun an wollte ich Böses meiden und lieber Verdienste erwerben.
Ursprünglich hatte ich nur vorgehabt, meinen Gesundheitszustand durch eine Diät und Yoga zu verbessern, damit ich wieder am normalen Leben teilhaben konnte, aber durch Aum entwickelte ich eine für mich ganz neue – buddhistische – Einstellung. Immerhin haben mir die Bücher von Aum geholfen, wieder auf die Füße zu kommen, als ich völlig am Boden war.
Im Dezember 1988 suchte ich das Dojo in Setagaya auf, um mich anzumelden, und hatte Gelegenheit, mit einem der Erleuchteten zu sprechen. Er nahm sich viel Zeit für mich und empfahl mir das einmal im Jahr in der Zentrale am Fuji stattfindende, zehntägige Seminar »Intensiv-Meditation bis zum Wahnsinn«. Ziemlich extremer Titel, oder? ( Lacht ) Dabei würde ich unheimliche Fortschritte machen, also solle ich unbedingt teilnehmen. Allerdings musste man dafür 100.000 Yen [1000 Euro] spenden, und so viel Geld hatte ich nicht. Außerdem fragte ich mich, ob eine so intensive Schulung gleich am Anfang nicht gefährlich wäre. Aber Tomomitsu Niimi, der Leiter des Seminars, redete mir so zu, dass ich schließlich teilnahm.
Damals war Aum noch eine kleine Gruppe mit höchstens zweihundert Mönchen und Nonnen, daher konnten auch die Neuen ziemlich bald nach ihrem Beitritt Shoko Asahara kennen lernen. Er war nicht so wie jetzt, er wirkte viel drahtiger und muskulöser und betrat das Dojo mit kraftvollen, federnden Schritten. Es ging etwas Bezwingendes, Despotisches von ihm aus. Seine beängstigende Fähigkeit, alles und jeden auf den ersten Blick zu durchschauen, war vom ersten Augenblick an zu spüren. Die meisten behaupteten, er sei sanft und freundlich, aber mir machte er am Anfang eher Angst.
Als
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