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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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konnten. Sie mussten den ganzen Tag hungern. Die Polizei machte mir Angst. Ich sah, wie viele meiner Freunde gewalttätig behandelt und herumgestoßen wurden. Einige trugen sogar Gehirnerschütterungen davon.
    Murakami: Sie haben sich die ganze Zeit in Satyam 6 aufgehalten. Haben Sie vor dem Anschlag nichts Ungewöhnliches bemerkt?
    Nein. Ich war ja auch jede Minute mit dem Zubereiten der Opferspeisen beschäftigt und hatte gar keine Zeit, auf irgendetwas zu achten. Ich und meine Kolleginnen waren so beschäftigt, dass wir kaum aus Satyam 6 herauskamen und nicht viel von dem wussten, was draußen vor sich ging. Die Einzigen, mit denen ich sprach, waren die Mädchen, mit denen zusammen ich die Opferspeisen zubereitete.
    Murakami: Diejenigen, die den Anschlag begangen haben, sind inzwischen verhaftet worden und haben die Tat gestanden. Es ist also klar, dass Aum für den Anschlag verantwortlich ist. Wie denken Sie darüber?
    Wir haben fast nichts darüber erfahren. Wir lebten doch in einem abgelegenen Bergdorf. Es gab weder Zeitungen noch Fernsehen. Deshalb hatte ich kaum eine Ahnung von dem, was in der Welt vor sich ging.
    Natürlich hätte man sich jederzeit informieren können, wenn man gewollt hätte. Ich interessierte mich nur nicht dafür. Ich glaubte nicht, dass Aum etwas mit dem Anschlag zu hatte. Außerdem hatte ich mir vorgenommen, möglichst auf das Fernsehen zu verzichten.
    Mulmig wurde es mir erst, als im folgenden Jahr von einer Verschärfung der Radikalengesetze die Rede war. Das hätte die Auflösung Aums bedeutet, meine Freunde wären in alle Winde verstreut worden, ich hätte weder mein zurückgezogenes, behütetes Leben weiterführen noch mich auf meine Übungen konzentrieren können. Stattdessen hätte ich meinen Lebensunterhalt irgendwie allein verdienen müssen. Davor hatte ich große Angst.
    Murakami: Das wäre bestimmt ein Schock für Sie gewesen. Aber hatten Sie denn über ein Jahr nach dem Anschlag immer noch keine Ahnung, dass wirklich Aum ihn verübt hatte?
    Nein. Und auch die anderen Leute, die ich kannte, nicht. Fast alle in Satyam 6 waren von der Außenwelt abgeschnitten. Zu uns gelangten einfach keine Informationen.
    Am Ende hatte die Zahl der Samana stark abgenommen, einer nach dem anderen war gegangen. Aber wovon hätte ich leben sollen, wenn ich plötzlich fortging? Ohne wenigstens einen Aushilfsjob kann man keine Miete zahlen. Samana bekommen jeden Monat nur einen kleinen Geldbetrag. Jedenfalls wurde es ständig leerer. Es war wie bei einem Kamm, aus dem nacheinander alle Zähne herausbrechen. Ich war unter den Letzten, als wir am ersten Oktober 1996 die Anweisung erhielten, Satyam 6 zu räumen.
    Danach zog ich nach Saitama. Dort lebten bereits zehn Aum-Mitglieder in einer Wohngemeinschaft. Der Hausbesitzer war tolerant und hatte nichts dagegen, an Leute von Aum zu vermieten. Andererseits hätte das Haus auch niemand anderes gemietet, denn es war erst halb fertig. Alle nahmen irgendwelche Jobs an, damit wir für unseren Lebensunterhalt aufkommen und für die Kinder und die Alten sorgen konnten.
    Mir kam die Idee, mit meinen Erfahrungen aus der Opfer-Küche von Satyam 6 im Erdgeschoss des Gebäudes eine Bäckerei zu eröffnen. Das Geld dafür gaben mir meine Eltern.
    Murakami: Ihre Eltern sind sehr verständnisvoll.
    Ja, das sind sie ( lacht ). Deshalb habe ich jetzt eine Bäckerei. Am Anfang gaben wir uns einen hübschen Namen: »Der fliegende Konditor«, aber die Medien kamen dahinter. Nachdem wir das Geschäft im Rathaus angemeldet hatten, tauchten plötzlich Zeitungs- und Fernsehreporter bei uns auf. Das Amt hatte anscheinend Informationen an die Medien durchsickern lassen. Jedenfalls kam der Name unseres Geschäfts heraus und wurde im Fernsehen genannt, woraufhin unsere besten Kunden beschlossen, den geschäftlichen Kontakt zu uns abzubrechen. »Der Laden gehört Aum-Mitgliedern«, war die Begründung.
    Auch die Leute aus dem Viertel kauften nicht bei uns. Wir hatten eine Homepage und versuchten, unsere Produkte über das Internet zu verkaufen, aber nachdem unser Name bekannt geworden war, wurden alle Bestellungen rückgängig gemacht. Daraufhin versuchten wir es mit einem anderen Namen, aber unsere Auslieferer wurden ständig von der Polizei angehalten und befragt: »Was tun Sie hier? Wissen Sie nicht, dass der Laden Aum-Leuten gehört?« Wir überlegten, ob wir unsere Waren irgendwo anders verkaufen sollten, aber die Polizei wäre uns doch überallhin gefolgt.
    Inzwischen

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