Untergrundkrieg
Eltern weinten, als ich die Gelübde ablegte. Sie hatten sich verzweifelt bemüht, mich davon abzuhalten. Aber in meinem damaligen Zustand hätte ich ohnehin nichts Positives für sie bewirken können, da bin ich mir ganz sicher. Ich war nicht auf der Suche nach dem, was man im Allgemeinen Liebe nennt, sondern ich suchte nach Liebe in einem viel umfassenderen Sinne. Erst durch eine echte Veränderung würde ich meinen Eltern von Nutzen sein können. Natürlich fiel es mir dennoch schwer, mich von ihnen zu trennen und der Welt zu entsagen.
Als Erstes wurde ich ins Seiryu Shoja [Kloster am Klaren Strom] in der Präfektur Yamanashi geschickt, damit ich mich in Askese übte. Dann kam ich zurück nach Tokyo ins Setagaya-Dojo, wo mir verschiedene Aufgaben zugeteilt wurden. Ich kümmerte mich um die Laienmitglieder, die noch zu Hause wohnten. Außerdem war ich für den Druck von Flugblättern zuständig, die dann zu den Mitgliedern nach Hause gebracht wurden, damit sie sie verteilen konnten. Ein bisschen einsam fühlte ich mich in meinem neuen Leben schon, aber ich bereute es nicht. In der Gemeinschaft schloss ich neue Freundschaften. Es gab dort viele junge Mädchen in meinem Alter, und wir hatten viel Spaß zusammen im Setagaya-Dojo. Wir hatten so vieles gemeinsam. Worüber wir sprachen? Meistens über die Fortschritte, die wir bei unseren asketischen Übungen machten ( lacht ). Schließlich waren die anderen auch Nonnen geworden, weil sie an der Welt keinen besonderen Wert erkennen konnten. Nach einem Jahr im Setagaya-Dojo wurde ich in die Zentrale am Fuji versetzt, wo ich im Büro arbeitete. Nach anderthalb Jahren kam ich ins Satyam 6 nach Kamikuishiki, wo ich Opfergaben vorbereitete – das heißt, ich bereitete die Speisen zu, die den Göttern dargeboten wurden. Nach dem Opfer verzehrten die Samana sie in einer Zeremonie.
Murakami: Sie kochten also die Mahlzeiten. Was haben Sie denn so alles zubereitet?
Brot, Gebäck, Bratlinge, Reis, Kombu, Frittiertes. Ab und zu änderten wir die Gerichte. Eine Zeit lang machten wir oft Nudeln. Es gab nur vegetarisches Essen.
Die Anzahl der Köchinnen wechselte auch, mal waren es mehr, mal weniger. Am Ende waren wir nur noch zu dritt, alles ausgewählte Frauen, denn die Opfergaben galten als heilig.
Murakami: Man hatte also erkannt, dass Sie für diese Arbeit geeignet waren?
Ja, ich denke schon. Es war wirklich eine schwere Arbeit, man kann schon sagen, Knochenarbeit. Wir mussten von morgens bis abends kochen und brachen manchmal vor Erschöpfung fast zusammen. Eine Zeit lang gab es besonders viele Samana, da mussten wir noch mehr kochen. Wir schufteten wirklich pausenlos.
Stellen Sie sich vor, es gab hundert Samana. Das hieß hundert Portionen, die zuerst vor dem Altar dargebracht werden mussten. Wir haben das Essen nicht nur gekocht, sondern es auch in den Altarraum getragen, in einzelnen Schalen aufgestellt, sie anschließend wieder abgeräumt und an die Samana verteilt.
Der Speisezettel wurde von unseren Vorgesetzten bestimmt. Ich nehme an, sie stellten ihn nach den heute für Japaner geltenden Ernährungsprinzipien zusammen. Wie es schmeckte? Wenn hin und wieder Leute von draußen bei uns aßen, sagten sie meistens, es sei ein bisschen fad. Aber wenn das Essen zu gut schmeckt, besteht die Gefahr, dass Begierden geweckt werden, doch strenge Regeln gab es eigentlich nicht. Mahlzeiten, die die Geschmacksnerven nicht anregen, wäre eine gute Beschreibung. Es war nicht unsere Aufgabe, besonders schmackhafte Mahlzeiten zu kochen, sondern eine Nahrung bereitzustellen, die die Mitglieder mit ausreichend Energie für ihre Aktivitäten versorgte.
Wir waren natürlich keine ausgebildeten Köchinnen. Der Gründer [Asahara] ermahnte uns häufig, unser ganzes Herz in unsere Arbeit zu legen. Nach den Mahlzeiten mussten wir die Geräte und Maschinen reinigen. »Stellt euch beim Putzen vor, ihr würdet eure Herzen polieren«, sagte er. Ich bemühte mich, meine Arbeit mit ganzem Herzen zu machen. Als ich noch zu Hause gewohnt habe, interessierte ich mich nicht für das Kochen. In Kamikuishiki habe ich in Satyam 6 vier Jahre lang jeden Tag die Opfergaben zubereitet.
Murakami: Hat Shoko Asahara nicht auch in Satyam 6 gewohnt?
Ja, genau. Er hatte verschiedene Wohnungen, aber Satyam 6 war sozusagen sein Hauptwohnsitz. Natürlich lebte er in einem anderen Flügel, getrennt von uns. Ab und zu bekam ich ihn zu sehen. Manchmal aß er bei uns, aber eher selten. Jemand anders kochte für
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