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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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erwerben, bevor ich an Fortschritte denken könne. In der Phase, in der ich mich befände, müsse ich durch einfache Arbeiten Verdienste sammeln. Also schuftete ich ein ganzes Jahr lang in der Buchbinderei. Jeder Tag war hart. Wir schliefen nur vier Stunden täglich. Besonders furchtbar war es während des Wahlkampfs. Ich arbeitete an der Falzmaschine. Wir ließen die Maschinen ständig laufen, auch wenn wir auf die Toilette gingen. Jede Sekunde zählte.
    Nach der Wahl nahm die Arbeit stark ab. Wir hatten jede Menge Freizeit zum Faulenzen. In Naminomura war ganz schön was los, aber wir in der Druckerei führten ein friedliches Leben. Wenn es keine Arbeit gab, durften wir unsere Übungen machen. Unser Leiter war irgendwo unterwegs, und wir hatten es ganz gemütlich.
    Am Anfang standen die Maschinen still, sooft ich nicht da war. Aber im Laufe der Zeit konnten alle sie bedienen, und ich bat meine Oberen um eine Versetzung. Eigentlich war das nicht üblich. Ich zeichnete auf altem Papier zwanzig Seiten Comic-Illustrationen zu den Jataka , den Geschichten über die Vorleben Buddhas. Dann machte ich drei Comic-Hefte daraus und schickte sie an die Leitung. Ich fügte einen Brief bei, in dem ich schrieb: »Ich habe gelernt, wie man Comics zeichnet. Ich würde diese Kenntnisse gern in den Dienst der Befreiung stellen und bitte um meine Versetzung.«
    Eigentlich rechnete ich nicht mit einer Antwort, denn egozentrisches Verhalten wurde nicht gern gesehen. Wahrscheinlich würden sie mich einfach ignorieren. Aber eines Tages erhielt ich zu meiner Überraschung einen Anruf aus der Verwaltung. »Finden Sie sich morgen in der Graphikabteilung ein.« Die Graphikabteilung hatte auch eine Sektion für Comics, in der nur eine Person mit ganz simplen Sachen beschäftigt war. Nun war aber eine Aum-Operette mit Trickfilm-Einlagen geplant, und darum wurden alle Samana, die ein bisschen zeichnen konnten, dorthin abkommandiert. Insgesamt kamen etwa zwanzig bis dreißig Personen zusammen. Später wurde ich zum Leiter der Abteilung ernannt.
    Es waren eine Menge begabter Leute dabei. Der größte Glücksfall war ein Samana, der früher als Kameraassistent in einem Trickfilmstudio gearbeitet hatte. In Teamarbeit produzierten wir eine Menge Material. Insgesamt habe ich drei Jahre dort gearbeitet. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, war das für mich eine recht friedliche Zeit.
    Obwohl die Gruppe von Anfang an gespalten war. Normalerweise hatte der Leiter einer Abteilung den Rang eines »Meisters« inne. Ich war aber nur »Swami«, was niedriger ist. Ich bekam also alle Kritik von oben ab und gleichzeitig den Druck von unten. Das war nicht ganz einfach für mich. Zum Beispiel mussten wir, um gewisse Techniken zu erlernen, normale weltliche Zeichentrickfilme anschauen, aber unsere Oberen verboten das. Trotzdem musste zumindest ich mir einige davon ansehen. Gleich kamen ein paar Kollegen angerannt und zeterten: »Der Meister hat das untersagt. Warum schaust du dir trotzdem so was an?« Unsere Abteilung war in zwei Fraktionen gespalten. Die einen hatten in erster Linie die Qualität unserer Arbeit im Auge, während die anderen der Lehre den Vorrang gaben. Es wurde immer schwieriger, überhaupt etwas fertig zu stellen. Dazu kamen noch andere Probleme.
    Zum Beispiel das Verhältnis zwischen Männern und Frauen. Weil sich die Fälle häuften, in denen sich ein Mann und eine Frau näher gekommen und dann miteinander durchgebrannt waren, predigte Asahara: »Weibliche Samana müssen sich von den Männern fernhalten. Nicht nur fernhalten sollen sie sich, sondern die Männer verabscheuen.« Bald wurde ich von allen Seiten kritisiert, und es herrschte eine ziemlich aggressive Atmosphäre.
    Murakami: Sie scheinen nicht gerade auf dem Weg zur Befreiung gewesen zu sein?
    Nein, wirklich nicht. Es war kaum auszuhalten. Eine Zeit lang überlegte ich, ob ich gehen sollte. Weil mir letzten Endes doch sehr viel an der Befreiung lag, hielt ich durch, aber langsam bröckelte meine Entschlossenheit.
    Zweimal schrieb ich sogar eine Austrittserklärung an meine Vorgesetzten. Das war 1992. Sie leiteten die Briefe an Murai weiter. Schließlich redeten sie mir alles wieder aus. Und ich ließ die Sache schleifen …
    Murakami: Glauben Sie, dass Sie wieder in der Gesellschaft Fuß gefasst hätten, wenn Sie Aum damals verlassen hätten?
    Vielleicht. Ich kann mich nicht genau erinnern, wie ich damals dachte. Aber seit ich Mönch war, sah ich die Welt mit anderen Augen. Es

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