Untergrundkrieg
ungefähr zwei Stockwerke hoch. Es roch unbeschreiblich, als hätte jemand alle Industrieputzmittel der Welt zusammengerührt. Und die Beleuchtung war auch so merkwürdig. Alles Metall war rostig und der Boden nass. Ein seltsamer weißer Dunst hing in der Luft. Und alle, die dort arbeiteten, sahen aus, als würden sie gleich zusammenbrechen, so torkelten sie herum. Ich dachte zuerst, sie wären nur müde, aber in Wirklichkeit waren sie krank.
Ich wusste nicht, was los war, aber ich hatte den Eindruck, dass Aum eine Menge Geld für irgendetwas locker machte und dass das hier die vorderste Front war. Vielleicht sollte die Befreiung auf einen Schlag erreicht werden? Da die Zahl der Mitglieder, die diesen Ort zu sehen bekamen, sehr begrenzt war, erfüllte es mich mit Stolz, dass ich zu den Auserwählten gehörte. Aber ich hätte doch gern gewusst, was das alles bedeutete. Wie eine Waffe sah es jedenfalls nicht aus.
Im Herbst 1994 kam es zu einem Unfall. Als ich im zweiten Stock von Satyam 7 gerade eine Pause machte, stieg wie Trockeneis ein weißer Rauch zu uns auf. Der Mann neben mir sagte: »Hauen wir lieber ab«, und wir rannten. Als ich nur ein bisschen davon einatmete, konnte ich nichts mehr sehen, und mein Hals fing furchtbar an zu brennen. Es roch scharf nach einer Säure. Wenn ich hierbliebe, wäre das mein sicherer Tod, dachte ich. Wirklich, Satyam 7 war ein gefährlicher Ort.
Am ersten Januar 1995 erhielten wir die Anweisung, das Innere von Satyam 7 zu tarnen. Die gesamte Ausstattung sollte hinter einem Gesicht des Gottes Shiva verborgen werden. Ich wurde mit der künstlerischen Ausführung betraut. Mitten in der Nacht wurden riesige Styropor-Platten angeliefert, hinter denen die verdächtigen Teile der Anlage versteckt werden sollten.
Murakami: Aber ging das denn bei den vielen großen Tanks?
Zuerst bauten wir an der Fassade des Gebäudes aus Brettern eine Wand. Die beklebten wir mit dem Styropor, auf das Shivas Gesicht gemalt war. Die übrigen Stellen verdeckten wir mit provisorischen Altären. Um den ersten Stock zu tarnen, benutzen wir Stellwände, machten ihn zu einem Irrgarten, so wie bei einer Fotoausstellung. Wir hatten von ganz oben die Anweisung erhalten, alles zu unternehmen, um mögliche Eindringlinge von außen zu täuschen. Wir brauchten dazu etwa einen Monat. Das Bauamt unter der Leitung von Kiyode Hayakawa hat das meiste gemacht. Ich habe das Gesicht gezeichnet. Es wurde grauenvoll. Völlig dilettantisch.
Jedenfalls konnte man damit niemanden aufs Glatteis führen. Jeder hätte den Trick sofort durchschaut. Hiromi Shimada kam unser Werk besichtigen und erklärte es zu einer religiösen Einrichtung. Aber der ganze Eindruck war daneben. »Das funktioniert nicht«, dachte ich. Aber aus Angst vor Hayakawa hielten alle den Mund.
Als am 20. März der Sarin-Anschlag stattfand, war ich nicht bei den Schweißern, sondern im Kloster Seiryu. Als ich von dem Anschlag in Tokyo hörte, hätte ich nie vermutet, dass Aum ihn verübt hatte. Eher hätte ich damit gerechnet, dass Aum die Freimaurer oder die USA angreifen würde, aber einfach wahllos Leute umbringen? Das ist doch Terrorismus.
Zwei Tage später stürmte die Polizei Kamikuishiki. 2000 bis 2500 Polizisten waren zusammengezogen worden. »Das ist etwas Ernstes«, dachte ich, als ich davon hörte. Aus irgendeinem Grund war das Kloster Seiryu bei der ersten Durchsuchungswelle verschont geblieben. Also rafften wir alle Pläne, die wir für verräterisch hielten, zusammen und verbrannten sie. Wir gingen auch in Murais Zimmer und verbrannten alle Bücher, die mit Waffen zu tun hatten. Dabei entdeckten wir auch kugelsichere Westen, die wir zerschnitten. Ich bin mir sicher, dass die Razzia im Kloster Seiryu stattfand, nachdem der Polizeichef Kunimatsu von einem Scharfschützen erschossen wurde. 32
Der Gedanke, dass Aum tatsächlich für den Anschlag verantwortlich sein könnte, kam mir zum ersten Mal, als ich mit eigenen Augen einen Laster sah, der Sarin versprühen sollte. Das war, glaube ich, im April. Ob es vor oder nach der Razzia war, weiß ich nicht mehr.
Murakami: Wo war das?
Im Kloster Seiryu. Ich war ziemlich erstaunt, als ich diesen großen Laster mit Düsen und einem Schornstein sah. Wenn der entdeckt worden wäre, hätte es schlimm ausgesehen. Es kam auch gleich eine Anordnung von oben, und wir bauten das Ding zu zehnt auseinander.
Nach der Razzia konnten wir – etwa fünfzig Leute – nicht mehr im Kloster Seiryu arbeiten und gingen
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