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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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herrschte ein heilloses Durcheinander von Charakteren, denen ich zuvor nie begegnet war. Elitäre Typen, Fitness-Fanatiker und künstlerische Genies. In diesem Chaos lernte ich, dass all diese verschiedenen Menschen ihre Schwächen hatten genau wie ich. Ich verlor die Abneigung, die mich bisher gequält hatte. Im Großen und Ganzen waren doch alle gleich. Typen, die gute Zeugnisse hatten, litten genauso wie ich. Das waren sehr wertvolle Erfahrungen für mich.
    Die Samana hatten auch eine fundamentale Abneigung gegen die Welt. Die Menschen, die ein normales Leben in der Gesellschaft führten, bezeichneten sie als »Durchschnittsmenschen«. Diese »Durchschnittsmenschen« waren dazu verdammt, zur Hölle zu fahren, und die Einstellung ihnen gegenüber war entsprechend. Zum Beispiel machten manche Samana sich überhaupt nichts daraus, wenn sie auf das Auto eines Außenstehenden fuhren. Sie allein hatten die Wahrheit gepachtet und sahen auf alle anderen herab. Was machte es schon, wenn sie auf ihrem rasanten Weg zur Erleuchtung jemandem eine Delle ins Auto fuhren? Das ging mir ein bisschen zu weit. Diese Überheblichkeit widerte mich noch mehr an als das, was mich an der Gesellschaft bisher immer gestört hatte. Auf einmal hasste ich dasjenige, was ich früher gehasst hatte, gar nicht mehr so sehr.
    Murakami: Das ist interessant. Normalerweise würde man annehmen, dass sich eine solche Einstellung verstärkt, wenn jemand einer Sekte beitritt. Aber in Ihrem Fall scheint es umgekehrt gewesen zu sein.
    Vielleicht hatten meine Erfahrungen im mittleren Dienst etwas damit zu tun ( lacht ). 1994 wurde die Trickfilmabteilung aufgelöst. Eine Versammlung wurde einberufen, auf der man uns mitteilte, dass wir mit sofortiger Wirkung Hilfskräfte der Wissenschaftsabteilung seien (die dann in »Ministerium für Wissenschaft und Technik« umbenannt wurde). Es wurden dringend Schweißer gebraucht, und man vermutete, dass Leute aus einer Trickfilmabteilung geschickte Handwerker seien. Als ich das hörte, war ich stumm vor Verblüffung. Trickfilmherstellung ist doch etwas völlig anderes als Schweißen! Ich hatte nicht einmal eine Ahnung, für was die Schweißer gebraucht wurden, da wurden schon alle Mitglieder der Abteilung überprüft, ob sie Spitzel wären. Schon damals fragte ich mich, warum denn Shoko Asahara die Spione nicht einfach mit Hilfe seiner übersinnlichen Kräfte entlarvte.
    Fast alle Angehörigen der Trickfilmabteilung wurden zum Schweißen nach Kamikuishiki geschickt. In Satyam 9 wurden Tanks und Mischmaschinen hergestellt. Weil wir natürlich keine Ahnung vom Schweißen hatten, wurde die ganze Gruppe zu Assistenten ernannt. Es gab Anweisung, so schnell wie möglich zu arbeiten, aber obwohl alle sich bemühten, schafften wir es nicht und gerieten immer mehr in Verzug. Asahara ordnete an, dass alles bis Mai 1994 fertig sein sollte. Es waren riesige Tanks, unheimlich groß, zwei Tonnen. Wir formten die Metallplatten, machten einen Zylinder, verschweißten ihn und schweißten dann noch einmal vorgefertigte Metallplatten darauf.
    Manchmal schufteten wir 16 Stunden am Tag. Alle waren fix und fertig. Ab und zu kriegten wir nicht genug Opferspeisen, einmal mussten wir sogar zwei Tage hungern. Alle klagten, manche legten einfach die Arbeit nieder. Ich hatte ja auch keine Erfahrung mit dieser Art von Arbeit und zog mir dauernd irgendwelche Verletzungen zu, verbrannte mich, mein Gesicht wurde ganz schwarz, und meine Brille war nur noch Schrott. Aber keiner von uns brannte durch. »Das dient alles nur deiner Erleuchtung«, redete ich mir immer wieder ein.
    In dieser Zeit wurde ich in den untersten Rang eines Meisters erhoben. Vielleicht war den Oberen mein Engagement in der Trickfilmabteilung und beim Schweißen aufgefallen. Wenn man zum Meister befördert wird, bekommt man ein Band ums Handgelenk. Dann sagen sie zu einem: »Streng dich an.« Und das war’s. Trotzdem veränderte sich für mich etwas, als ich Meister wurde. Meine Freunde redeten plötzlich in respektvollem Ton mit mir. Erst jetzt wurde mir der große Unterschied zwischen Meistern und Untergebenen so richtig bewusst.
    Als Meister gehörte ich zu den wenigen Auserwählten, die freien Zutritt zum streng bewachten Satyam 7 hatten. Darin lagerten die Tanks, die wir in Satyam 9 hergestellt hatten. Es sah dort aus wie in einem Chemiewerk, und die Atmosphäre war unheimlich, irgendwie bedrückend. Ich hatte keine Ahnung, was dort hergestellt werden sollte. Die Decke war

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