Untergrundkrieg
nach Tokyo zurück, um Flugblätter zu verteilen. Ich kam in Satyam 5 unter, wo ich in der Buchbinderei arbeitete und unter der Aufsicht von Michiko Muraoka Comics zeichnete, welche die grundlose Verhaftung von Aum-Mitgliedern durch die Polizei karikierten. Um diese Zeit wurde Hideo Murai erstochen. 33
Natürlich war ich zuerst schockiert, aber zugleich erfüllte mich ein Gefühl von Frieden. Es fällt mir schwer zu beschreiben, was ich damals empfand. Jedenfalls hielt ich Aum für erledigt. Ich war wie gelähmt, unfähig zu handeln. Auch wenn ich mir dessen vielleicht noch nicht bewusst war, wollte ich unbedingt raus aus Aum und wieder ein normales Leben führen, aber ich hatte nicht die Kraft dazu. Daher versuchte ich, mich ruhig und unauffällig zu verhalten. Und dann war da noch meine Position. Der Stolz verbietet es einem Meister, einfach aufzugeben.
Shoko Asahara war in meiner Achtung beträchtlich gesunken. Er hatte alles verpatzt. Keine seiner Prophezeiungen war eingetreten, weder diejenigen, die er bei dem Seminar auf Ishigakijima gemacht hatte, noch seine Vorhersagen über den Kometen Austin. Viele Samana sprachen es jetzt aus: »Die Weissagungen des Meisters scheinen nicht einzutreten.«
Als mir klar wurde, dass sogar Murai nur Befehle ausgeführt und Ja, Ja gesagt hatte, ob er etwas verstand oder nicht, brach für mich alles zusammen. Dazu kam, dass die Leute unter mir anfingen zu murren. Obwohl mir die ganze selbstsüchtige Atmosphäre bis oben hin stand, fehlte es mir immer noch an der Willenskraft, endgültig zu gehen. Wie bei einem Zahnrad griff so vieles ineinander. Erst als Murai umgebracht wurde, hatte ich allmählich das Gefühl, wieder in die normale Gesellschaft zurückkehren zu können.
Murai war sehr wichtig für mich gewesen. Im Rückblick fällt mir auf, dass Murai meinen ganzen Werdegang bei Aum begleitet hat. Sowohl mit der Druckerei als auch mit der Trickfilmabteilung hatte er etwas zu tun gehabt. Obwohl er – nach Asahara – Aum für mich am stärksten repräsentierte, war ich über seinen Tod nicht traurig. »Endlich bin ich frei«, war mein stärkster Impuls, auch wenn das selbstsüchtig klingt.
Aber bevor ich mich von Aum zurückziehen konnte, wurde Haftbefehl gegen mich erlassen. Nachdem Ikuo Hayashi und Masami Tsuchiya gestanden hatten, wurden viele Angehörige des Ministeriums für Wissenschaft und Technik verhaftet. Ich riss noch einen Witz, dass ich wahrscheinlich der Nächste wäre, da war mein Haftbefehl schon in Kraft. Mein Name stand in der Zeitung. Ich wurde wegen Mordes und versuchten Mordes gesucht. Das war, glaube ich, am 20. Mai. Natürlich hatte ich niemanden getötet, aber auf beide Verbrechen stand die Todesstrafe oder lebenslänglich. Ich bin ganz schön erschrocken.
Es hatte keinen Zweck, sich zu verstecken, also befolgte ich den Rat meiner Vorgesetzten und stellte mich der Präfekturpolizei von Yamanashi.
Ich wurde unerbittlich verhört. Der zuständige Beamte wollte, dass ich eine Aussage unterschrieb, in der ich zugab, von der Sarin-Herstellung in Satyam 7 gewusst zu haben. Zuerst sagte ich immer nur: »Ich habe nichts davon gewusst, ich habe nichts davon gewusst.« Aber am Ende war ich so mit den Nerven fertig, dass ich ein falsches Geständnis ablegte. Später habe ich das alles einem Staatsanwalt erklärt.
Schließlich wurde die Anklage fallen gelassen, und ich kam frei. Anscheinend hing sie davon ab, ob ich an einer Versammlung in Satyam 2 teilgenommen hatte, in der die Herstellung von Sarin beschlossen worden war. Am Anfang verdächtigte die Polizei mich, einer derjenigen gewesen zu sein, die das Sarin freigesetzt hatten. Es war ziemlich übel. Sie schubsten mich ein bisschen herum, wendeten aber keine echte Gewalt an. Trotzdem bekam ich auf einmal Herzprobleme. Ich wurde dreimal am Tag verhört, jedes Mal sehr lange. Ich war völlig fertig. Dreiundzwanzig Tage saß ich in Untersuchungshaft.
Nach meiner Entlassung fuhr ich zu meinen Eltern nach Sapporo. Ich hatte psychische Probleme und musste für ungefähr einen Monat ins Krankenhaus. Ich litt unter Atemnot, mir war schwindlig, und manchmal fiel ich in Ohnmacht. Die Ärzte machten eine Menge Tests, bis sie schließlich erklärten, mein Zustand sei nervlich bedingt.
Murakami: Was hätten Sie getan, wenn Murai Ihnen wirklich befohlen hätte, Sarin in der U-Bahn freizusetzen?
Auf jeden Fall hätte ich gezögert. Ich bin anders als Toru Toyoda und diese Leute. Selbst einem Befehl von Asahara
Weitere Kostenlose Bücher