Untergrundkrieg
hätte ich mich widersetzt, wenn ich davon nicht überzeugt gewesen wäre. Ich habe nie einfach nur gehorcht. Natürlich hatte die ganze Atmosphäre bei Aum einen großen Einfluss auf das Verhalten der Leute. Ich glaube auch gar nicht, dass die Attentäter besonders überzeugt waren, sondern eher verunsichert. Hätten die Polizei oder das Militär uns angegriffen, hätte ich höchstwahrscheinlich auch zur Waffe gegriffen, aber das ist ja etwas völlig anderes, als einfach fremde Menschen umzubringen. Übrigens war die Wahrscheinlichkeit, dass sie mich für diese Aufgabe ausgewählt hätten, sowieso ziemlich gering, da ich nicht der Elite angehörte. Das Ministerium für Wissenschaft und Technik war in eine »Hirn-Division« und die »Zulieferer« eingeteilt. Zu den »Zulieferern« gehörten Leute wie ich, die grobe Arbeiten wie das Schweißen verrichteten. Toyoda und die anderen dagegen waren ein Teil von Asaharas handverlesener Elite, der »Hirn-Division«. Im Ministerium gab es ungefähr dreißig Meister verschiedener Grade, und ich gehörte zur niedrigsten Kategorie.
Dennoch haben mich einige Namen überrascht. Asahara hat offenbar seine engsten Gefolgsleute ausgewählt, die, von denen er überzeugt war, dass sie ihm widerspruchslos gehorchen würden. Die Elitetypen waren perfekte Befehlsempfänger. So war es auch mit Murai: keine Kritik und keine Ausreden. Man könnte sie fast bewundern. Die meisten Menschen würden so etwas nicht lange durchhalten – schon gar nicht drei oder gar vier Jahre.
Nur Yasuo Hayashi fiel etwas aus dem Rahmen. Er gehörte zu den »Zulieferern« und nicht zur Elite. Er war aus dem Bauamt aufgestiegen. Plötzlich saß er mitten unter einer Superelite, die an Supraleitern und Elementarteilchen forschte, und war selbst im Grunde nur ein Elektriker.
Zuerst war er ja noch ganz in Ordnung, aber allmählich veränderte er sich. Wir standen früher mal auf der gleichen Ebene und hätten freundschaftlich miteinander umgehen können. Aber als er Meister wurde, benahm er sich auf einmal eingebildet und arrogant. Ursprünglich war er ein freundlicher und herzlicher Mann, aber zum Schluss ist er zu einem dieser Typen geworden, die ihre Untergebenen in die Pfanne hauen, ohne mit der Wimper zu zucken.
Das Ministerium für Wissenschaft und Technik hatte von Anfang an höchste Priorität für Asahara. Sie hatten unheimlich viel Geld zur Verfügung. Aber auch in diesem Ministerium wurde ein Unterschied zwischen den »Hirn-Leuten« und den »Zulieferern« gemacht. Irgendjemand hat es schon gesagt: »Wer bei Aum erfolgreich sein wollte, musste entweder Todai-Absolvent oder eine schöne Frau sein.« ( Lacht ) Murakami: Sie haben sechs Jahre bei Aum verbracht. Haben Sie manchmal das Gefühl, Ihre Zeit vergeudet zu haben?
Nein, eigentlich nicht. Ich habe viele Freunde gewonnen, mit denen ich gemeinsam Schlimmes durchgemacht habe. Das sind sehr wichtige Erinnerungen für mich. Ich habe menschliche Schwächen kennen gelernt und mich weiterentwickelt, glaube ich zumindest. Vielleicht klingt das sonderbar, aber es war irgendwie ein abenteuerliches Gefühl, nicht zu wissen, was am nächsten Tag geschehen konnte. Auch gegen die schweren Aufgaben hatte ich im Grunde nichts einzuwenden. Sie hoben sogar meine Stimmung, weil sie mir etwas gaben, auf das ich mich mit aller Kraft konzentrieren konnte.
Psychisch geht es mir jetzt wieder viel besser. Natürlich habe ich die gleichen Probleme wie alle Menschen im weltlichen Leben. Liebeskummer zum Beispiel. Nicht alles ist leicht. Aber auch das ist normal. Im Augenblick fühle ich mich wie ein ganz normaler Mensch.
Aber es hat lange – etwa zwei Jahre – gedauert, bis ich mein seelisches Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Lange Zeit war ich völlig zielund kraftlos. Bei Aum hatte ich meine Kraft aus der Überzeugung geschöpft, ein »Meister der Wahrheit« zu sein. Jetzt muss ich eigene Kräfte entwickeln, wenn ich etwas erreichen will. Das habe ich sehr stark empfunden, nachdem ich Aum verlassen hatte. Diese anfängliche Kraftlosigkeit hat zu der Depression geführt, unter der ich so gelitten habe.
Heute habe ich viel mehr Selbstvertrauen als früher. Bei Aum habe ich eine Menge praktischer Fähigkeiten erworben, sodass ich schon damals sicher war, meinen Lebensunterhalt im Notfall selbst verdienen zu können. Diese Sicherheit bedeutete einen wichtigen Schritt für mich.
Ich lebe jetzt in Tokyo. Meine Freunde geben mir Kraft und Halt. Sie sind ebenfalls
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