Untergrundkrieg
legten dreihundert Personen auf einmal die Gelübde ab. Ich wurde ebenfalls von dieser Welle mitgerissen.
Mulmig wurde es mir jedoch, als ich mich der so genannten »Christus-Initiation« unterziehen musste, bei der allen eine Droge verabreicht wurde. Was immer man von so etwas halten mag, auf jeden Fall wurde die Sache sehr nachlässig gehandhabt. Drogen im Namen einer Religion einzusetzen ist an sich schon fragwürdig, aber einmal angenommen, man billigt dieses Mittel, dann muss zumindest ein verantwortlicher Umgang damit gewährleistet sein. Ich vermute, wir bekamen etwas Ähnliches wie LSD . Für fast alle Initianden war es die erste Erfahrung mit Drogen. Einige Leute drehten durch, wurden aber einfach sich selbst überlassen. Das missfiel mir außerordentlich. Selbst wenn der Gründer den Gebrauch von Drogen zu unserer spirituellen Entwicklung eingeplant hatte, wurden sie doch sehr unvorsichtig eingesetzt.
Ich empfand großen Widerstand gegen diese so genannte »Christus-Initiation«, und nachdem ich sie durchlaufen hatte, rang ich mit mir, ob ich nicht wieder austreten sollte. Ich war so entsetzt, dass mir die Tränen kamen. Immer wieder fragte ich mich, welchen Sinn das haben sollte. Ich war nicht der Einzige – auch ein paar der hoch gestellten Funktionäre hatten ihre Zweifel, was diese Initiation betraf, sogar Erleuchtete, die sonst jedes Wort von Asahara aufsaugten. Für mich sah es so aus, als sei das für Aum der Anfang vom Ende.
Aum war für mich auch ein Abenteuer. Will man sich eine neue, unbekannte Welt erschließen, dann muss man deren System bis zu einem gewissen Grad tolerieren – sozusagen mit den Wölfen heulen. Daher wollte ich mich mit diesem System vertraut machen, ohne die damit verbundene Weltsicht ganz zu übernehmen. Einerseits wünschte ich mir, ganz in Aum einzutauchen, andererseits wollte ich jedoch auch einen Schritt zurücktreten und die ganze Sache nüchtern und distanziert betrachten.
Eigentlich wäre ich am liebsten nach einem Monat wieder ausgetreten, aber so einfach war das nicht – ich schämte mich meines Wankelmuts. So etwas ist auch eine Frage von Stolz.
Jedenfalls hatte ich so viele Zweifel, dass ich die Aufgabe, die mir aufgetragen worden war, gar nicht richtig erfüllen konnte. Zum Beispiel hatte ich schwer an der Doktrin des Vajrayana – um jemanden zu erlösen, darf man ihn töten – zu schlucken. In meiner Umgebung gab es niemanden, den ich um Rat fragen konnte, und der Gründer stand zu hoch über mir, als dass ich direkt mit ihm hätte sprechen können. Auch wenn ich Gleichgestellte fragte, ob ihnen nicht einiges seltsam vorkomme, kriegte ich nur Phrasen zu hören. »Takahashi, folge doch einfach der Lehre Aums.« Also sah ich keine andere Möglichkeit, als mit den Oberen zu sprechen.
Bevor ich noch etwas unternehmen konnte, wurde ich schon zu Herrn Niimi, Eriko Iida und Meister Naropa [Fumihiko Nagura] bestellt. Sie fesselten mich wie bei einer Initiation und brüllten mich an: »Warum kannst du den Gesetzen der Gemeinschaft nicht folgen? Du machst deine Übungen nicht, stimmt’s? Wo ist deine Hingabe an den Guru?« Und so fort.
Zumindest war es eine gute Gelegenheit, ihnen meine Zweifel vorzutragen. Ich bat um Gehör. »Ich habe zu dem, was in unserer Gemeinschaft vorgeht, zu viele Fragen und kann mich deshalb nicht richtig auf unsere Aktivitäten konzentrieren.« Ich erklärte, was mich bedrückte, und Frau Iida gestand ein, ihnen ergehe es oft genauso. »Es bleibt uns nichts übrig, als dem Guru auf seinem Weg zu folgen«, sagte sie.
»Aber wie können Sie dem Guru folgen, wo Sie doch gar nicht so viel von ihm wissen?«, beharrte ich. »Ich glaube auch an ihn, aber ich weiß zu wenig über ihn und kann ihm nicht bedingungslos gehorchen.« Aber alles Drängen nützte nichts, die Antwort blieb die Gleiche: »Wir müssen an ihn glauben und ihm gehorchen.«
Ich war unsagbar enttäuscht – mehr hatte eine hoch geachtete Erleuchtete Mahamudra-Meisterin wie Eriko Iida nicht zu sagen? Das sollte eine Erleuchtete Meisterin sein? Ich erkannte, dass ich nur meine Zeit verschwendete, und beschloss, mich an Hideo Murai zu wenden, meinen Vorgesetzten im Ministerium für Wissenschaft und Technik, aber der ließ sich zu überhaupt keiner Antwort herab. Jetzt hätte ich nur noch den Guru selbst fragen können. Also gab ich auf und widmete mich ganz meinen Übungen.
Da Yoshihiro Inoue der Einzige bei Aum war, dem ich mich spirituell nahe fühlte, hätte ich ihn
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