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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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gern um Rat gebeten, aber er war in irgendeiner geheimen Mission unterwegs, und ich hatte keine Verbindung zu ihm. So verbrachte ich einige Monate allein und verzweifelt.
    Ein Jahr, nachdem ich Mitglied bei Aum geworden war, wies Hideo Murai mich an, seismologische Daten zu sammeln, aber die Richtung, die Aum anscheinend nahm, und die allgemeine Verwirrung verunsicherten mich so, dass ich mich nicht in Ruhe auf meine Aufgabe konzentrieren konnte. Unentwegt grübelte ich darüber nach, was Aum wohl vorhatte. Also wagte ich einen Vorstoß und fragte Herrn Murai: »Ich habe den Eindruck, in unserer Gemeinschaft gehen finstere Dinge vor. Was ist eigentlich los?« Damals war ich mit irgendwelchen astrologischen Aufgaben betraut, die es mir ermöglichten, den Gründer und seine Berater aus größerer Nähe zu beobachten. Wie soll ich es beschreiben – es war, als bewegten sich alle hinter einem Schleier. Ich hatte beschlossen, Hideo Murai anzusprechen, weil er der Schlüssel zu dem Ganzen zu sein schien, aber ich konnte nur am Telefon mit ihm reden. Er schwieg einen Moment, dann sagte er: »Ich bin enttäuscht von dir.« In diesem Augenblick wusste ich, dass meine Zeit bei Aum abgelaufen war.
    Ich kann der These, dass die Verbrechen von Aum nur so etwas wie Selbstläufer waren, nicht beipflichten. Ein Moment von Eigendynamik mag hinzugekommen sein, aber diesen Aktionen lag ja ein ganzes religiöses Konzept zugrunde. Damit würde ich mich gern ausführlicher beschäftigen. Eine einigermaßen befriedigende Erklärung könnten wahrscheinlich nur Asahara oder Murai liefern. Die anderen Anhänger wurden bloß wie Schachfiguren hin- und hergeschoben, aber diese beiden haben Entscheidungen in vollem Bewusstsein ihrer Ziele getroffen und die Befehle zu den Verbrechen gegeben. Womit ich mich allein herumschlug, das waren im Grunde die Motive dieser beiden Männer.
    Die meisten der am Sarin-Anschlag Beteiligten waren absolut loyale Anhänger von Asahara, die ihm niemals wegen irgendwelcher Zweifel den Gehorsam verweigert hätten. Im Vergleich zu ihnen konnte Toru Toyoda sogar noch einigermaßen selbständig denken. Wenn ich meine Zweifel an Aum äußerte, war er zumindest bereit, darüber nachzudenken. Er sagte: »Stimmt schon, Hideyoshi, aber da Armageddon nun mal bevorsteht, hat es keinen Sinn mehr, darüber zu reden.«
    Ich kannte Toru Toyoda ganz gut, weil wir zur gleichen Zeit eingetreten waren. Nachdem er Mönch geworden war, wurde er sehr schnell an die Spitze befördert. Einmal sagte er sogar zu mir: »Ich verstehe auch nicht genau, was bei Aum vor sich geht, aber da ich nun mal der Führung angehöre, muss ich mich auch so verhalten.« Da erkannte ich, dass er es viel schwerer hatte als ich. Das war noch vor dem Anschlag. Ich war eine Zeit lang sein Fahrer.
    Murakami: Herr Takahashi, wenn Hideo Murai Ihnen befohlen hätte, sich an dem Sarin-Anschlag zu beteiligen, hätten Sie sich geweigert?
    Ich würde es gern glauben. Aber es war ein Trick dabei. Die Leute, die den Anschlag verübten, wurden in eine Situation gebracht, in der sie sich nur sehr schwer hätten weigern können. Sie wurden in Murais Zimmer versammelt und mit einem »Befehl von ganz oben« überrumpelt. Die Worte »ein Befehl von oben« wirkten bei Aum wie ein Zauberspruch. Die Personen, die das Verbrechen ausführten, waren unter den ergebensten Anhängern von Aum ausgewählt worden, und genauso sagte man es ihnen: »Ihr seid auserwählt«, und appellierte damit an ihr Pflichtgefühl. Glauben bedeutete bei Aum völlige Hingabe.
    Mich hätte man ohnehin nicht ausgewählt. Ich war ein kleines Licht, weit entfernt von der Erleuchtung. Kurz, Aum hätte mir nie vertrauen können.
    Murakami: Dazu möchte ich Ihnen eine Frage stellen. Als ich die Interviews mit den Opfern des Anschlags führte, sagten viele aufgrund ihrer Erfahrungen in Firmen, sie hätten, wären sie an der Stelle der Aum-Mitglieder gewesen, vielleicht auch Sarin freigesetzt, wenn man es ihnen befohlen hätte. Aber Sie als ehemaliges Aum-Mitglied behaupten, Sie hätten sich eventuell geweigert. Wie kommt das?
    Lassen Sie mich das genauer erklären. Wenn ich ehrlich bin, muss ich wohl zugeben, dass ich mich wahrscheinlich nur dann gewehrt hätte, wenn Hideo Murai mir die Anweisung gegeben hätte. Hätte dagegen Yoshihiro Inoue zu mir gesagt: »Hideyoshi, mein Freund, das ist der Pfad zur Befreiung«, und mir den Beutel mit Sarin in die Hand gedrückt, wäre ich zumindest in der Zwickmühle gewesen.

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