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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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»geistig auf dem Niveau einer Grundschülerin«. Tatsuo kann sich nicht gut vorstellen, was »auf dem Niveau einer Grundschülerin« genau bedeutet, und auch ich kann mit dieser Einschätzung nicht viel anfangen. Bezieht sich das auf das Niveau ihrer Denkprozesse oder auf sämtliche Vorgänge in ihrem Hirn? Oder auf das Wissen und die Informationen, die sie verloren hat? Gewiss ist nur das Folgende:
    1) Ein Teil ihrer geistigen Fähigkeiten ist nicht mehr da.
    2) Es ist bisher nicht abzusehen, ob sie je wiederhergestellt werden können.
    Sie erinnert sich an einige Ereignisse nach dem Anschlag, aber auch davon hat sie vieles vergessen. Tatsuo vermag nicht einzuschätzen, was sie noch weiß und was nicht.
    Ihr linker Arm und ihr linkes Bein sind fast vollständig gelähmt. Wenn man diese Körperteile nicht bewegen kann, bereitet das bestimmte Probleme. Im vergangenen Sommer musste operativ eine Sehne in ihrer linken Kniekehle durchtrennt werden, damit ihr angewinkeltes linkes Bein ausgestreckt werden konnte. Diese Operation war sehr schmerzhaft.
    Ihren Mund kann sie nicht ausreichend bewegen, um normal zu essen oder zu trinken. Auch Zunge und Kiefer sind noch fast gelähmt. Man ist sich dessen nicht bewusst, aber beim Essen und Trinken führen wir mit der Zunge und dem Kiefer hochkomplizierte Manöver aus. Erst wenn wir die Fähigkeit dazu verlieren, wird uns ihre Bedeutung klar. Das ist augenblicklich Shizukos Situation …
    Erst nach vielen Monaten ausdauernder Übung hat sie gelernt, weiche Speisen wie Joghurt oder Eis zu sich zu nehmen. Sie isst besonders gern Erdbeerjoghurt, aber leider muss sie den größten Teil ihrer Nahrung noch über einen Schlauch durch die Nase aufnehmen. Das Ventil, das zur künstlichen Beatmung in ihren Hals eingesetzt wurde, ist noch geblieben. Im Moment ist es mit einem Metallblättchen abgedeckt – ein blankes Andenken an ihren Kampf gegen den Tod.
    Ihr Bruder schiebt sie langsam im Rollstuhl ins Foyer. Sie ist eine zierliche Frau mit einer kurzen Bobfrisur. Im Gesicht ähnelt sie ihrem Bruder; ihr Ausdruck ist schwer zu deuten. Ihre Wangen sind ganz leicht gerötet, sie sieht nicht krank aus. Nur ihre Augen blicken ein wenig schlaftrunken, wie bei einem Menschen, der gerade aufgewacht ist. Wenn nicht der Schlauch in ihrer Nase wäre, sähe man ihr vielleicht gar nichts an.
    Keines ihrer Augen ist ganz geöffnet. Aber wenn man genau hinsieht, erkennt man einen Lichtpunkt in der Pupille. Ein kleines, aber hell strahlendes Licht, das ich zuerst gar nicht bemerkt hatte und das meinen Blick zu ihrem innersten Sein lenkte, das keine Schmerzen empfand.
    »Guten Tag«, sagte ich.
    »Guten Tag«, sagt Shizuko. Es hört sich an wie »Huu Taa.«
    Ich stelle mich mit Hilfe ihres Bruders kurz vor. Shizuko nickt. Man hatte ihr meinen Besuch angekündigt.
    »Bitte haben Sie keine Hemmungen, ihr Fragen zu stellen«, ermutigt mich ihr Bruder.
    Ich bin verwirrt. Was soll ich sie überhaupt fragen?
    »Wer schneidet Ihnen denn die Haare?« frage ich sie als Erstes.
    »Die Schwester«, antwortet sie. Eigentlich hört es sich an wie »weftaa«, obwohl ich es aus dem Zusammenhang gleich errate. Sie antwortet prompt, ohne zu zögern. Ihr Verstand arbeitet schnell, nur ihre Zunge und ihr Kiefer können nicht Schritt halten.
    Anfangs ist Shizuko nervös und ein bisschen scheu, weil ich anwesend bin. Natürlich kann ich das nicht gut beurteilen, aber Tatsuo fällt der Unterschied auf.
    »Warum bist du denn heute so schüchtern?« neckt er sie. Doch als ich darüber nachdenke, wird mir klar, dass jede junge Frau schüchtern reagiert, wenn sie einem Fremden begegnet und körperlich nicht auf dem Posten ist. Ehrlich gesagt, ich war selbst ein wenig nervös.
    Bevor wir das Interview verabredeten, hatte Tatsuo mit seiner Schwester über mich gesprochen. »Herr Murakami ist ein Schriftsteller, der in einem Buch über dich schreiben möchte. Was hältst du davon? Darf er über dich schreiben? Ist es dir recht, wenn ich mit ihm über dich spreche? Darf er mal herkommen?«
    »Gut«, hatte Shizuko sofort gesagt.
    Im Gespräch mit ihr fällt mir als Erstes die Geschwindigkeit auf, mit der sie sich für ja oder nein entscheidet. Das könnte eine Grundschülerin wahrscheinlich nicht. Bei kaum einer Antwort zögert sie.
    Trotzdem ist sie schüchtern. Natürlich.
    Ich habe ihr gelbe Blumen in einer kleinen gelben Vase mitgebracht. Gelb habe ich gewählt, weil es eine Farbe voller Lebenskraft ist. Schade, dass Shizuko die

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