Untergrundkrieg
hinunter.
Als ich die Fahrkartensperre passieren wollte, stand da ein Schild »Wegen einer Bombendrohung ist der U-Bahn-Verkehr vorübergehend eingestellt« oder so etwas. Ich ging trotzdem weiter runter und sah, dass auf dem Bahnsteig eine ganze Menge Leute warteten. Ich dachte, wenn da Leute warten, wird ja sicher bald eine Bahn kommen. Also stellte ich mich dazu. Aber kein Zug ließ sich blicken. Ich gab auf und ging auf den Bahnsteig der Chiyoda-Linie, um dann von der Haltestelle Nogizaka zu Fuß zu gehen.
Aber der Chiyoda-Bahnsteig war dermaßen voll, dass man nicht durchkam. Zufällig stand auf dem gegenüberliegenden Gleis mit geöffneten Türen ein Zug der Hibiya-Linie, die von Naka-Meguro nach Kita-Senju fährt. Daher beschloss ich, durch den leeren Zug zu gehen. Ein paar andere taten das Gleiche. Während ich durch die vier oder fünf Wagen ging, hatte ich nicht den geringsten Verdacht, dass etwas nicht stimmen könnte. Auch auf dem Bahnsteig tat sich nichts Ungewöhnliches. Ein ganz normaler Zug, der wegen eines Defekts nicht fuhr. [Leider der Zug, in dessen erstem Wagen man Sarin entdeckt hatte. Er war zwar angehalten und geräumt worden, stand aber mit offenen Türen an der Station Kasumigaseki.]
Die Chiyoda-Linie fuhr noch. Sie hatte Verspätung, aber nach einer Weile kam doch eine Bahn, und ich stieg ein. Kurz bevor wir Nogizaka erreichten, fing ich an, mich schlapp zu fühlen. Beim Aussteigen hatte ich Herzklopfen, und das Treppensteigen fiel mir schwer. In meinem Beruf arbeite ich zu viel und schlafe zu wenig, achte also nicht genügend auf meine Gesundheit. Deshalb hielt ich es für einen Erschöpfungszustand aufgrund von Überarbeitung. Dann wurde es um mich herum dunkel, obwohl es ein sonniger Tag war, aber ich dachte mir nicht viel dabei. Erst als ich schon im Verteidigungsministerium angekommen war, fiel mir auf, dass da etwas nicht stimmen konnte. Vielleicht wurde auch die Beleuchtung überprüft?
Inzwischen berichtete das Fernsehen von den Vorfällen im U-Bahnhof Kasumigaseki. Der U-Bahn-Verkehr war eingestellt worden, und es herrschte große Aufregung. Mein Vorgesetzter riet mir, meine Frau anzurufen und ihr zu sagen, dass ich gut angekommen sei, was ich auch tat. Zu dem Zeitpunkt war die Sache mit dem Sarin noch nicht bekannt, und ich glaubte noch, es habe sich um einen gewöhnlichen Unfall gehandelt. Als ich am Schreibtisch saß und arbeiten wollte, hatte ich Schwierigkeiten, den Bildschirm zu erkennen, weil er so dunkel war. Nun wurde gemeldet, dass die U-Bahn mit Sarin verseucht worden war. Da wusste ich sofort, dass ich etwas davon abbekommen hatte.
Nein, nicht allen Angehörigen der Selbstverteidigungsstreitkräfte sind die Auswirkungen von Sarin bekannt. Aber als ich im Außenministerium arbeitete, wurde gerade das Verbot chemischer Waffen ratifiziert, und ich wusste von damals noch Bescheid. Außerdem hatte ich natürlich von dem Vorfall in Matsumoto gehört, obwohl ich mich nicht so sehr dafür interessiert hatte. Ehrlich gesagt, ich hatte damals nicht einmal geglaubt, dass wirklich Sarin eingesetzt worden war. Ich hatte ein anderes Gift vermutet. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass jemand mitten in Japan chemische Waffen herstellt. Zumal das gar nicht so einfach ist.
Ich wusste noch, dass Sarin eine Verengung der Pupillen hervorruft, und ging in die Toilette, um mir die Augen auszuwaschen und in den Spiegel zu schauen. Meine Pupillen waren wie kleine Punkte. Als ich in den Sanitätsraum kam, hatten sich dort schon zahlreiche Sarin-Opfer eingefunden. In unserer Behörde war die Zahl besonders hoch, vielleicht höher als bei anderen. Das lag möglicherweise daran, dass wir etwas früher anfangen als die meisten und viele die Hibiya- und Chiyoda-Linien benutzen. Aber soweit mir bekannt ist, leidet mittlerweile niemand mehr an den Folgen. [Herr Ishino wurde anschließend sofort in das Krankenhaus der Streitkräfte in Setagaya gebracht. Glücklicherweise waren seine Symptome nicht schwerwiegend, sodass er nur eine Nacht im Krankenhaus verbrachte. Das Gefühl der Erschöpfung und Mattigkeit hielt an, und seine Pupillen normalisierten sich erst nach einem Monat wieder.]
In Europa sind Terroranschläge häufiger, wenn auch nicht gerade alltäglich. Aber in Japan hat es bisher so etwas nicht gegeben. Als ich während meiner Ausbildung eine Zeit lang in Frankreich lebte, habe ich oft gedacht: »Was bin ich froh, dass Japan ein so sicheres Land ist.« Alle sagten, sie würden
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