Untergrundkrieg
hatte die Stange umklammert und war zu Boden geglitten. Was ich für die Wand hielt, war eigentlich der Boden des Wagens. Er fühlte sich kalt an an meiner rechten Hand. In einer Zeitschrift war ein Foto von mir, wie ich am Boden lag. Deshalb weiß ich, wie es war.
Außerdem haben sie mich gefilmt und im Fernsehen gezeigt. Ich lag ungefähr fünfunddreißig Minuten flach ( lacht ). Bis Viertel vor neun. In dem Bericht sieht man, wie zwei oder drei Beamte von der Hibiya-Linie mich wegtragen.
Als ich wieder zu Bewusstsein kam, war ich in der Toho-Omori-Universitätsklinik. Aber wann das war, weiß ich nicht. Vielleicht am Nachmittag desselben Tages, als ich einen Augenblick lang zu mir kam. Dann habe ich gleich wieder das Bewusstsein verloren.
Als ich endgültig wieder zu mir kam, wurde ich auf eine normale Station verlegt. Das war am 23. März, obwohl ich glaubte, dass es der Tag nach dem Anschlag (also der 21. März) war. Aber als ich meine Frau fragte, welcher Tag es sei, sagte sie, es sei der 23. Ich war nämlich drei Tage bewusstlos. Keinerlei Bewusstsein. Völlige Bewusstlosigkeit ist das Paradies. Das absolute Nichts. Nichts.
Ich hatte keine Nahtod-Erfahrung oder wie man das nennt. Das Einzige war, dass ich aus weiter Ferne wie vom Wind herbeigetragene Stimmen hörte. Wie das Geschrei von Kindern, wenn sie Baseball spielen. Aber ganz leise und wie vom Wind abgehackt …
Damals war gerade eine meiner Töchter schwanger, im vierten Monat, glaube ich. Ich hatte es erst kurz davor erfahren. Anscheinend hat die jüngere Schwester meiner Frau zu mir gesagt: »Und wenn du dein Enkelkind nicht mehr zu sehen bekommst?« Bis dahin hatte ich keinerlei Reaktion gezeigt, wenn jemand mit mir sprach. Aber als ich das hörte, dachte ich plötzlich, »ich muss es sehen«, und kam zu mir. Meine Töchter hatten an meinem Bett gesessen, geweint und immer wieder gesagt: »Papa, bitte stirb nicht«, aber ich habe nur Gemurmel gehört. Aber die Worte »Was ist, wenn du deinen Enkel nicht zu sehen bekommst?« haben mich erreicht. Mein Enkel ist im September auf die Welt gekommen. Wahrscheinlich habe ich diesem Kind mein Leben zu verdanken.
Drei Tage lang war ich bewusstlos. Danach funktionierte mein Gedächtnis nicht mehr richtig. Wenn mir jemand etwas erzählte, hatte ich es nach einer halben Stunde wieder vergessen. Das ist wohl die typische Folge einer Sarin-Vergiftung. Der Chef meiner Firma hat mich mehrmals besucht, aber ich kann mich nicht daran erinnern. Also natürlich auch nicht an das, was wir gesprochen haben. Ich hoffe nur, dass ich nicht unhöflich zu ihm war. Er soll mich ungefähr zehnmal besucht haben, aber ich erinnere mich an nichts.
Erst nach etwa acht Tagen fing mein Gedächtnis wieder an, normal zu funktionieren. So lange hat es auch gedauert, bis ich endlich wieder etwas essen konnte. Während ich im Krankenhaus war, hatte ich keine körperlichen Symptome. Keine Augenschmerzen, keine Kopfschmerzen. Ich hatte überhaupt keine Schmerzen, nicht einmal gejuckt hat es mich. Nur mein Sehvermögen war beeinträchtigt. Aber das habe ich selbst gar nicht so gemerkt.
Eigentlich gehört es sich nicht, so was zu sagen, aber die Krankenschwestern waren allesamt Schönheiten. Sogar zu meiner Frau habe ich gesagt: »Schwester Soundso ist wunderschön. Man sagt zwar, schöne Frauen wären kalt, aber sie ist so lieb.« Als ich wieder zu Bewusstsein kam, habe ich mir anscheinend eingebildet, die Welt hätte sich in der Zwischenzeit verschönt ( lacht ).
Aber nachts im Krankenhaus kam die Angst. Das Bett hatte einen Metallrahmen. Wenn ich an diesen Rahmen stieß, hatte ich das Gefühl, eine feuchte Hand strecke sich nach mir aus, um mich in die Dunkelheit zu zerren. Am Tag war es hell, und immer war jemand in der Nähe, aber in der Nacht, wenn ich schlafen wollte und mit der Hand oder dem Fuß gegen den Bettrahmen stieß, griff diese kalte Hand nach mir. Je stärker mein Bewusstsein wurde und je besser ich mich erinnern konnte, desto schlimmer wurden diese Ängste. Ich merkte nicht, dass es Halluzinationen waren. Ich glaubte, ein Toter wäre in meinem Zimmer und flüsterte mir zu: »Komm, komm mit.« Ich hatte Angst, aber ich traute mich nicht, es jemandem zu sagen. Schließlich bin ich der Herr im Haus und kann nicht einfach so zugeben, dass ich Angst habe ( lacht ).
Deshalb wollte ich so bald wie möglich raus aus der Klinik. Wenn ich mein Essen nicht aufessen konnte, musste meine Frau es in einer Plastiktüte aus dem
Weitere Kostenlose Bücher