Untergrundkrieg
sie gerettet wurde oder gestorben ist.
Als der Zug in Kamiyacho ankam, stürzten wir alle raus und warfen uns auf den Bahnsteig. Panik brach aus, aber alle halfen einander. Wir kauerten auf dem Bahnsteig. Ich dachte, nun sei alles in Ordnung, aber das stimmte natürlich nicht, denn die Dämpfe breiteten sich auch im Bahnhof aus.
Einige Fahrgäste sagten dem Fahrer Bescheid. Er sah sich den ersten Wagen an und machte über Funk sofort einen Notruf.
Eine Menge Leute lagen auf dem Bahnsteig, ich saß auf dem Boden. Mit der einen Hand hielt ich meine Schultertasche fest, mit der anderen stützte ich den Kopf der jungen Frau. Sie war wie bewusstlos. Meine Augen tränten wie verrückt.
Mit dem Mädchen im Arm stolperte ich in Richtung Fahrkartensperre, aber von dort strömten uns die Leute entgegen. An der Fahrkartensperre wurde uns nur gesagt, wir sollten warten. Ich rief immer wieder auf Japanisch »bitte, bitte, bitte.« Aber die Passanten auf ihrem Weg zur Arbeit drängten sich einfach an uns vorbei.
Dann kam ein Mann mit einer Aktentasche, öffnete die Fahrkartenbarriere, nahm mir das Mädchen ab und trug sie die Treppe hinauf. Jemand half auch mir, mich die Treppe hinaufzuschleppen. Frische Luft! Jetzt waren wir gerettet.
Doch im selben Augenblick wurde mir unheimlich übel. Ich musste mich setzen und mich fürchterlich übergeben. Den gesamten Mageninhalt. Es sah bestimmt eklig aus. Inzwischen waren um mich herum eine Menge Leute, denen es auch schlecht ging und die sich Taschentücher vor die Augen hielten. Niemand wusste, was los war.
»Helfen Sie uns. Rufen Sie einen Krankenwagen«, sagte ich, denn inzwischen war ich wirklich ziemlich in Panik. Etwa zehn Minuten später trafen die Krankenwagen ein, sechs oder sieben Fahrzeuge. Dreißig bis vierzig Leute lagen oder hockten dort am Boden. Ich wurde als einer der Ersten sofort aufgenommen und ins Krankenhaus gebracht.
Inzwischen war mir auch klar, dass es eine Gasvergiftung sein musste, weil es mir so katastrophal schlecht ging.
Der Zug, den wir in Kamiyacho verlassen hatten, fuhr weiter, und ich hatte zuerst vorgehabt, einfach auf die nächste Bahn zu warten. Wenn ich jetzt daran denke, kommt mir das so absurd vor. Aber zu dem Zeitpunkt hat natürlich niemand geahnt, dass es sich um ein tödliches Gift handelte.
Ich frage mich auch jetzt noch manchmal, was aus dem Mädchen geworden ist. Ich habe gehört, dass in Kamiyacho eine einundzwanzigjährige Frau ums Leben gekommen ist. Ob sie das wohl war? Ich habe es nie erfahren. Vielleicht hat das Gas ihr besonders zugesetzt, weil sie so klein war. Ein leichtes Opfer. Sie tut mir so leid. Wahrscheinlich war sie auf dem Weg zur Arbeit. Sie war so ordentlich und schick angezogen. Ich wüsste gern, was aus ihr geworden ist.
Ich war vier Tage im Krankenhaus. Ständig waren Leute von der Reitschule bei mir, weil die Verbandszentrale ihren Sitz in Kamiyacho hat.
Als ich erst im Krankenhaus war, ging es mir gleich viel besser. Es war nichts Ernstes, aber der psychische Schock hatte mir den Rest gegeben – an die frische Luft zu kommen und zu glauben, es würde jetzt besser, während es nur schlimmer wurde! Im Krankenhaus dagegen fühlte ich mich in Sicherheit.
Eine Weile hatte ich noch Kopf- und Augenschmerzen, und es ging mir insgesamt nicht so gut, aber allmählich sind doch alle Beschwerden verschwunden. Nachdem ich aus dem Krankenhaus entlassen war, habe ich noch drei, vier Tage beim irischen Botschafter übernachtet. Sie waren wirklich ganz reizend zu mir.
Drei Wochen lang konnte ich fast nicht schlafen. Ich fürchtete mich davor einzuschlafen, denn dann träumte ich unweigerlich den gleichen Traum: dass mir jemand mit einem großen Hammer auf den Kopf schlug.
Dieser Traum war wirklich sonderbar. Am Anfang war der Hammer ungeheuer hart, und die Schläge taten sehr weh. Dann wurde er von Tag zu Tag weicher, bis die Schläge nicht härter waren als die mit einem Kissen.
Mit der Angst war es genauso. Ein unbekannter Mann kam aus der Dunkelheit und schlug mit dem Hammer auf mich ein, sodass ich aus dem Schlaf hochschreckte. Das wiederholte sich endlos. Ich hatte Angst einzuschlafen, denn dann kam der Traum. Meine Angst vor der Dunkelheit war so groß, dass ich die ganze Nacht das Licht anließ.
In diesen drei Wochen habe ich kaum geschlafen. Ich arbeitete wieder an der Reitschule, aber weil ich nicht schlafen konnte, war ich wie benebelt, nicht normal eben.
Inzwischen ist alles weg. Hundertprozentig. Kein
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