Untergrundkrieg
Krankenhaus schaffen, damit es so aussah, als wäre ich gesund und hätte besten Appetit. Auf die Weise konnte ich durchsetzen, dass ich nach elf Tagen entlassen wurde. Ursprünglich sollte ich fünfzehn Tage bleiben.
Aber zu Hause war es genau das Gleiche. Wenn ich auf die Tatami trat oder etwas Kaltes berührte, überkam mich diese Angst. Auch wenn ich allein im Bad war. Ich konnte nicht allein sein, ich bekam einfach Angst. Abends, wenn alle sich aus dem Wohnzimmer in ihre Zimmer zurückgezogen hatten, bekam ich Angst. In der Badewanne ließ ich mir von meiner Frau den Rücken schrubben. Wenn sie fertig war und wieder gehen wollte, habe ich gerufen: »Bleib hier, bis ich fertig bin. Ich will vor dir rausgehen.« ( Lacht ).
Die Angst, kalte Dinge zu berühren, hielt den ganzen April an. Im Mai verschwand sie.
Unter den Opfern scheint es einige zu geben, die auch heute noch Angst haben, mit der U-Bahn zu fahren. Ehrlich gesagt, so war das bei mir am Anfang auch. In der Firma dachten sie sich schon, dass ich nicht mit der U-Bahn fahren wollte, und boten mir an, stattdessen mit dem Superexpress zu fahren. Die Kosten würde die Firma übernehmen. Ich lehnte ab. Ich wollte nicht gehätschelt werden und auch nicht versuchen, vor den Problemen wegzulaufen. Am 10. Mai fuhr ich zum ersten Mal wieder zur Arbeit. Vom ersten Tag an nahm ich wieder die gleiche Hibiya-Bahn um 7.15, die, auf die der Anschlag verübt wurde. Ich setzte mich sogar in den gleichen Wagen, auf den gleichen Platz. Als wir durch Kamiyacho kamen, schaute ich mich um und dachte: »Hier war es.« In dem Augenblick wurde es mir schon ein bisschen mulmig. Aber als ich es geschafft hatte, war ich sehr erleichtert. Damit hatte ich irgendwie die Angst abgeschüttelt.
Die Menschen, die an Sarin gestorben sind, hatten bestimmt bis zum Schluss keine Ahnung, dass sie sterben würden. Natürlich waren sie auch die letzten Minuten vor ihrem Tod bewusstlos. Ihnen blieb keine Zeit, ihre Kinder und ihre Frauen noch einmal zu sehen. Denn niemand konnte vorhersehen, dass so etwas passieren würde. Was ich damit sagen will: Wozu um alles in der Welt mussten diese Menschen sterben?
Wer so etwas tut, hat die Höchststrafe verdient. Ich spreche im Namen der Verstorbenen. Sie haben nicht mehr die Möglichkeit, das zu fordern, aber ich bin am Leben geblieben. Warum mussten sie sterben? Nichts als Ausreden und Unsinn kriegen wir zu hören. Seine Anhänger hätten das getan, will sich dieser Asahara herausreden – so ein Quatsch. Die Leute haben aus Gier und Egoismus Menschen wie Insekten getötet. Das ist unverzeihlich. Ich bete, die Opfer mögen in Frieden ruhen.
»Als Soldat kenne ich mich ein bisschen mit Sarin aus«
Kozo Ishino (39)
Herr Ishino ist Absolvent der Akademie der Selbstverteidigungsstreitkräfte und gehört der Luftwaffe an. Gegenwärtig ist er Luftoffizier Zweiter Klasse, was etwa dem Rang eines Oberstleutnants entspricht.
Eigentlich hatte er ursprünglich gar nicht den Wunsch, den Selbstverteidigungsstreitkräften beizutreten. Als unpolitischer junger Mann hätte er auch auf eine renommierte Universität gehen und anschließend eine gute Stelle bei einer Firma annehmen können. Als sein älterer Bruder sein Studium an der Akademie der Selbstverteidigungsstreitkräfte begann und Herr Ishino an der Antrittszeremonie teilnahm, fand er, dass sein Bruder vielleicht »gar keine so schlechte Idee« gehabt hatte. Dennoch konnte er sich immer noch nicht vorstellen, selbst an der Akademie zu studieren. Die Aufnahmeprüfung für die Akademie absolvierte er »nur so zur Übung« .
Aber nach der Prüfung dachte er, dass es vielleicht doch seinen Reiz hätte, irgendetwas anderes aus seinem Leben zu machen, als eine typische Firmenkarriere einzuschlagen. Also beschloss er, einen Versuch zu wagen, obwohl ihm die Verteidigung Japans gar nicht besonders am Herzen lag. Herr Ishino sagt (mit gedämpfter Stimme): »Eigentlich sind es auch nicht viele, die die Akademie aus diesem Grund besuchen.«
Er hat eine so milde Ausstrahlung, dass man ihn niemals für einen Vertreter des Militärs halten würde, sondern eher für einen jungen kompetenten Technokraten. Zur Arbeit trägt er einen Anzug. Er wirkt besonnen und lächelt, wenn er spricht. Was seine Weltsicht und Wertvorstellungen angeht, ist er sehr aufrichtig und geradeheraus und ein absolut vorurteilsfreier Mensch.
Ich möchte mich besonders herzlich für dieses Interview bedanken, das er mir trotz großer
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