Untergrundkrieg
ich in Kasumigaseki in die Marunouchi-Linie umsteigen wollte, wurde plötzlich alles um mich herum dunkel. Außerdem fühlte ich mich sehr matt. Ich dachte, das käme vielleicht von den Medikamenten, die ich gegen meine Erkältung genommen hatte, also achtete ich nicht darauf. Der Zug fuhr eine Weile überirdisch, aber der Himmel war dunkel, schwärzlich oder eher bräunlich, wie auf einem alten Foto. Ich wunderte mich, denn eigentlich war es ein klarer Tag.
Ich kam gerade noch rechtzeitig in der Bank an, sozusagen in letzter Minute. Ich zog mich um und fing an zu arbeiten. Aber es fiel mir schwer, und gegen halb zehn wurde mir ganz eigenartig. Ich konnte nichts mehr mit den Augen fixieren, nicht lesen. Dann wurde mir übel, als müsste ich mich übergeben. Aber der Tag war wichtig, und ich musste einfach durchhalten. Trotzdem ging alles, was ich mit dem rechten Ohr hörte, zum linken wieder heraus. Obwohl ich nichts kapierte, sagte ich die ganze Zeit »ja, ja« und tat so, als würde ich zuhören. Dabei war mir so schlecht, und der kalte Schweiß brach mir aus. Eine schlimme Übelkeit, andererseits hatte ich mich während der Grippe oft ähnlich gefühlt, sodass mir kein Unterschied auffiel. Nein, ich musste mich nicht erbrechen, mir war nur übel.
Nach elf gingen alle zum Mittagessen. Mir stand der Sinn natürlich nicht nach Essen, und ich suchte stattdessen die Krankenstation auf. Dort fand ich endlich heraus, dass ich eine Sarin-Vergiftung hatte. Es war so schlimm, dass ich sofort ins Krankenhaus fuhr.
[Frau Iizuka erholte sich nur sehr langsam. Eine Woche konnte sie nicht richtig sehen, litt sehr unter Übelkeit und Erschöpfung. Obwohl sie permanent Kopfschmerzen hatte, hat sie sich keinen einzigen Tag beurlauben lassen und ist aus Pflichtbewusstsein weiter zur Arbeit gegangen. Auch heute noch – nach über einem Jahr– leidet sie unter Mattigkeit. Seit dem Anschlag spielt sie kaum noch Tennis, denn bei fast jeder körperlichen Betätigung gerät sie sofort außer Atem, schon beim Treppensteigen. Ihr Zustand bessert sich nur ganz allmählich.]
Ich bin nie so besonders gern ausgegangen, aber in letzter Zeit verbringe ich noch mehr Samstage zu Hause. Wenn ich einmal ausgehe, bin ich sofort müde. Eigentlich schaffe ich es gerade so, zur Bank zu fahren, zu arbeiten und wieder zurückzufahren. Wenn ich nach Hause komme, bin ich völlig erledigt. Auch in der Bank werde ich nachmittags gegen drei sehr müde. Ich bin so schlapp, wie ich es früher nicht kannte. Erst seit dem Anschlag ist das so.
Vielleicht ist es auch psychisch. Ich habe versucht, den Anschlag zu vergessen. Aber diese Art von Angst wird man nicht so leicht los. Ich glaube, sie wird mir für den Rest meines Lebens im Gedächtnis bleiben. Je mehr ich mich bemühe, den Anschlag zu vergessen, desto häufiger muss ich daran denken – den Eindruck habe ich jedenfalls. Ich müsste es psychisch kontrollieren können.
Murakami: Aber es ist wahrscheinlich sehr schwierig, die eigene Psyche unter Kontrolle zu bringen, oder?
Ja, das stimmt schon. Manchmal kann ich es objektiv betrachten, dann wieder ertrage ich es nicht, mit der Erinnerung konfrontiert zu werden. Es kommt in Wellen. Das ist mir inzwischen klar. Plötzlich muss ich aus irgendeinem Grund an den Anschlag denken. Dann habe ich das Gefühl, in meinem Inneren verschließt sich etwas.
Ich träume auch oft davon. Gleich nach dem Anschlag gar nicht so sehr, erst in letzter Zeit häufen sich die Träume. Sie sind so realistisch, dass ich mitten in der Nacht vor Angst hochschrecke.
Aber es sind nicht nur die Träume. Wenn ich einen engen Raum betrete, blockiert mein Körper einfach. Besonders in der U-Bahn oder in einem unterirdischen Kaufhauseingang oder so. Ich will in die Bahn steigen, und meine Füße rühren sich nicht von der Stelle. Seit diesem Februar passiert das immer häufiger. Dabei ist seit dem Anschlag schon über ein Jahr vergangen. Ich habe dann das Gefühl, dass niemand mich versteht, aber alle Kollegen sind sehr rücksichtsvoll, und meine Familie ist auch sehr lieb zu mir. Aber was diese Angst wirklich bedeutet, kann niemand verstehen. Natürlich wünsche ich das auch niemandem …
Aber es ist eine große Hilfe, dass mein Vorgesetzter, meine Familie und meine Freunde mir so zur Seite stehen. Das weiß ich. Und dann gibt es ja auch Opfer, die viel schlechter dran sind als ich.
Meine Eltern wollten nicht, dass ich dieses Interview gebe, weil ich mich nicht an Dinge erinnern
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