Untergrundkrieg
ich in so einem Zustand nie in die Firma gefahren.
Schließlich konnte ich einfach nicht mehr und fuhr ins Hibiya-Krankenhaus, wo ich zwischen halb zehn und zehn Uhr ankam. Mittlerweile wurden schon eine Menge Leute dort behandelt. Als in den Nachrichten die erste Tür eines Waggons in Tsukiji erwähnt wurde, fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Jetzt wusste ich, was das in Zeitungspapier gewickelte Ding in Kodemmacho gewesen war. Weil ich nach unten geschaut und geschnuppert hatte, hatte es mich schlimmer erwischt als andere.
Ich verbrachte eine Nacht im Krankenhaus. Nach einer Infusion ließen die Beschwerden nach, und meine Augen erholten sich allmählich.
Jetzt habe ich eigentlich nichts mehr. Vielleicht bin ich vergesslicher als früher. Mein Gedächtnis lässt mich oft im Stich. Deshalb notiere ich mir möglichst alles, was wichtig ist.
Murakami: Und ist Ihnen der Geruch von Isopropylalkohol jetzt nicht zuwider?
Nein, eigentlich nicht. Ich kenne den Geruch ja schon seit zig Jahren ( lacht ). Später habe ich im Fernsehen gehört, dass man bei der Herstellung von Sarin tatsächlich Isopropylalkohol verwendet. Also hatte ich Recht.
»Die Rettungsdienste waren nicht gerade eine große Hilfe«
Masanori Okuyama (42)
Herr Okuyama wirkte auf mich wie ein gelassener Mensch, obwohl ich das eigentlich nicht beurteilen kann, da wir nicht lange genug miteinander gesprochen haben.
Er ist in einer kleinen Stadt im Nordosten aufgewachsen und hat an einer Universität in der Nähe studiert. Als ältestes von drei Geschwistern war er »ein fügsames Kind – ich tat immer, was man mir sagte. Außerdem war ich ganz verrückt nach Handball.«
Er hat zwei Kinder, das ältere ist in der neunten Klasse und das jüngere in der sechsten. Als ich ihn fragte, ob er sich Gedanken über ihre Ausbildung machte, sagte er: »Ach nein, deshalb mache ich mir keine Sorgen.« Er scheint kein sehr strenger Vater zu sein und schimpft fast nie. Er arbeitet bei einem Hersteller für Einrichtungsgegenstände, der Kaufhäuser und große Supermarktketten beliefert. Anders als die meisten Vertreter muss er selten Einladungen geben und auch kaum Werbegeschenke verteilen. Die Kunden achten heutzutage streng darauf, dass keine Vergünstigungen angenommen werden, um Bestechungen und anderen Unregelmäßigkeiten vorzubeugen. »Das macht es leichter, die Arbeit vom Privatleben zu trennen.«
An seinen freien Tagen sieht er fern oder spielt Computerspiele. Er trinkt selten Alkohol, höchstens einmal eine Flasche Bier. Herr Okuyama scheint ein Mensch zu sein, der nach seinem eigenen Rhythmus lebt.
Er pendelt jeden Morgen mit der Hibiya-Linie nach Kamiyacho.
Am 20. März hatte ich nicht besonders viel zu tun, aber auch nicht wenig, weil ja das Steuerjahr zu Ende ging. Der darauf folgende Tag war ein Feiertag. Ich ging eine Stunde früher als sonst aus dem Haus, weil ich früh im Büro sein wollte, um noch einiges in Ordnung zu bringen. Ich bin ziemlich sicher, dass ich mit der Bahn um 7.50 in Kita-Senju abgefahren bin. Wie immer bin ich in den zweiten Wagen von vorne gestiegen.
Als der Zug in Kodemmacho eintraf, wurden wir über Lautsprecher gebeten auszusteigen. In der Bahn vor uns habe es eine Explosion gegeben. Also stiegen alle aus. Ich blieb auf dem Bahnsteig stehen und wartete darauf, dass die Bahn weiterführe oder eine andere käme. Ich hatte ein, zwei Minuten dort gestanden – jedenfalls nur ganz kurz –, als plötzlich ein Mann in meiner Nähe zu schreien anfing. Er war nur etwa zwanzig Meter von mir entfernt. Seine Stimme klang unheimlich und seltsam. Ich vermutete, dass er krank sei, und er wurde auch gleich weggebracht.
Etwa zur gleichen Zeit merkte ich, dass mir das Atmen schwerfiel, aber ich maß dem keine Bedeutung bei. Auf einmal krümmte sich nicht weit von mir entfernt eine Frau. Auch diesmal vermutete ich, dass ihr einfach schlecht sei. Dann erging über Lautsprecher die Aufforderung, die Station zu räumen. Es wurde auch ein Grund genannt, an den ich mich aber nicht erinnern kann.
In Kodemmacho befindet sich die Fahrkartensperre ungefähr in der Mitte der Bahnsteige, sodass die Leute, die vorne aus dem Zug steigen, ein Stück zurückgehen müssen, um den Bahnhof zu verlassen. Ich weiß nicht mehr genau, wann das war, aber ich legte – wahrscheinlich weil der Bahnsteig so voll war – diesen Weg durch den Zug zurück. Unterwegs sah ich, wie jemand umfiel. Daran erinnere ich mich noch genau.
Es kommt mir so vor, als
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