Untergrundkrieg
in Tsukiji dagegen erkannte sehr rasch, dass es sich um ein Giftgas handelte. »Giftgas!« riefen die Beamten, um die Fahrgäste dazu zu bringen, die Station möglichst schnell zu verlassen. Die Zentrale reagierte jedoch nur langsam. Erst mehr als zwanzig Minuten später, um 8.35, erging die Weisung, den Verkehr einzustellen sowie Fahrgäste und Personal zu evakuieren.
Auf einer Strecke von fünf Haltestellen kam es zu der katastrophalen Bilanz von acht Toten und 275 Verletzten.
Yasuo Hayashi, »die Mord-Maschine«, entkam und war über ein Jahr und neun Monate auf der Flucht, bis er im Dezember 1996 endlich auf Ishigaki gefasst wurde. Er soll auf seiner Flucht beständig einen kleinen buddhistischen Altar mit sich geführt haben, um für die Menschen zu beten, denen er das Leben genommen hatte. 13
»Ich musste an den Kredit und an unser Baby denken«
Noboru Terajima (35)
Herr Terajima ist Wartungstechniker für Fotokopiergeräte bei einem der großen Hersteller und fährt täglich mit der Hibiya-Linie von Soka bis Higashi-Ginza.
Sechs Monate vor dem Anschlag hat er geheiratet. Bis dahin lebte er allein in einer Wohnung in Soka; später nahm er einen Kredit auf und kaufte dort eine Eigentumswohnung. Kurze Zeit später wurde seine Frau schwanger. Am Wendepunkt seines Lebens vom jungen Mann zum Familienvater mit allen Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen traf ihn der Sarin-Anschlag.
Als ihm an der Station Kodemmacho schlecht wurde, nachdem er Sarin eingeatmet hatte, dachte er als Erstes an sein ungeborenes Kind und an den Kredit für die Eigentumswohnung.
Wir trafen uns an einem sonnigen Sonntagnachmittag in Soka in einem Café im ersten Stock eines Gebäudes am Bahnhof. Vor dem Fenster sah man junge Leute und Familien die Straßen entlangschlendern. Viele hatten kleine Kinder dabei. Es herrschte eine entspannte und heitere Feiertagsstimmung.
Herr Terajima beantwortete meine Fragen wohlüberlegt und präzise, aber er ist kein Mensch, dem das Herz auf der Zunge liegt.
Eigentlich wäre ich gern Maler geworden. Doch gerade als ich mit der Schule fertig war, starb mein Vater, und wir brauchten unbedingt Geld. Mein ältester Bruder studierte. Zumindest einer von uns sollte einen Uni-Abschluss machen. Ich besuchte eine Berufsfachschule, weil ich durch die Aufnahmeprüfung für die Uni gefallen war. Danach musste ich schnellstens eine Stelle finden.
Zuerst arbeitete ich für ein Maklerbüro, wo es hoch herging. Keine halbe Sache, sage ich Ihnen. Jedenfalls wurde es mir zu anstrengend. Nach nur einem Jahr kündigte ich und fing bei meiner jetzigen Firma an. Ich hätte gern in der Werbeabteilung gearbeitet, aber es fehlte mir an Erfahrung und ich hatte keinen Führerschein, jedenfalls klappte es nicht. Immerhin bin ich in einer renommierten Firma gelandet. Die Sicherheit war mir das Wichtigste.
Im September vor dem Anschlag habe ich geheiratet und eine Eigentumswohnung in Soka gekauft, aber wir konnten sie erst im April übernehmen. Bis dahin haben wir noch in meiner Mietswohnung in Soka gewohnt und waren um den 20. März, als der Anschlag passierte, gerade dabei, unseren Umzug vorzubereiten. Wir hatten schon alle Geschäfte in der Nachbarschaft nach Kartons abgegrast und waren beim Packen.
Nein, ich habe früher nie daran gedacht, eine Eigentumswohnung zu kaufen. Eigentlich war es mir immer ziemlich egal, wo ich wohne. Aber an einem freien Tag hatten wir zum Spaß die Wohnung besichtigt, und sie gefiel uns so gut, dass wir sie kauften. Die Finanzierung geht über fünfundzwanzig Jahre. Eine Wohnung zu kaufen ist nicht gerade ein Pappenstiel.
Wir sind in Soka geblieben, obwohl meine Mutter in Saitama und meine Schwiegermutter in Shinagawa wohnt. Eigentlich hätten wir eine Wohnung irgendwo in der Mitte gebraucht, aber die Innenstadt ist unbezahlbar.
Wir haben eine kleine Tochter. Sie ist schrecklich wild. Vor zwei Jahren habe ich noch ein geruhsames Junggesellendasein geführt, auf einmal bin ich verheiratet, habe ein Kind und einen Kredit und bin völlig pleite. So schnell kann das gehen ( lacht ).
Ich hatte mir vorgenommen, entweder vor fünfunddreißig zu heiraten oder gar nicht, denn danach wird es zu schwierig. Mit vierunddreißig habe ich schließlich doch noch geheiratet. Ich kannte meine Frau von früher, vom Windsurfen. Sie ist drei Jahre jünger als ich. Seit meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr bin ich ein begeisterter Windsurfer. Jetzt komme ich nicht mehr dazu, aber als ich jünger war, bin
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