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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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ich stundenlang mit dem Auto bis Shonan und Zaimokuza an die Strände gefahren. Einmal in der Woche bin ich um fünf aufgestanden und habe mich auf den Weg gemacht. Damals hatte ich eben viel Energie. Das war, bevor Windsurfen so populär wurde. Ein Freund und ich haben uns ein gebrauchtes Brett gekauft und es am Strand aufbewahrt. Was wohl daraus geworden ist?
    Mehr als Pachinko 14 ist heute in meiner Freizeit nicht drin ( lacht ). Zum Malen komme ich überhaupt nicht mehr. Wenn ich einmal damit anfange, kann ich nicht mehr aufhören. Und dazu fehlt mir die Zeit.
    Im März hatte ich sehr viel in der Firma zu tun. Mein Zuständigkeitsbereich liegt in Kasumigaseki 15 , das heißt bezahlte Regierungsaufträge inklusive Wartung, große Lieferungen und so weiter. Zu Ende des Steuerjahres, also im März, müssen die Behörden ihre sämtlichen Etats ausgeschöpft haben. Das bedeutet für uns die größte Hektik des Jahres. Der Anschlag ereignete sich zwischen zwei Feiertagen, aber ich konnte mir nicht freinehmen.
    Ich frühstücke kaum etwas. Nur eine Tasse Kaffee und ein bisschen Gebäck. In die Firma fahre ich mit der Hibiya-Linie, weil ich da meist einen Sitzplatz bekomme. Normalerweise steige ich in die erste Tür des dritten Wagens ein. An dem Tag habe ich anscheinend die Bahn um 7.53 erwischt. Meist schlafe ich sofort ein, sobald ich sitze. Ich lese nicht mal Zeitung. Kurz vor Higashi-Ginza wache ich automatisch wieder auf. Immerhin habe ich schon dreimal verschlafen ( lacht ) und bin aus Versehen bis Kamiyacho gefahren.
    Am Tag, an dem der Anschlag passierte, bin ich in Kodemmacho aufgewacht, weil über Lautsprecher eine Durchsage kam. »In Tsukiji hat eine Explosion stattgefunden. Der Zug wird eine Weile hier halten. Wir bitten Sie um etwas Geduld.« Ich blieb sitzen und wartete, bis sie sagten, der Verkehr sei eingestellt. Was blieb mir übrig, als auszusteigen. Auf dem Bahnsteig nahm ich den stechenden Geruch von Isopropylalkohol wahr. Da wir den zum Reinigen der Glasscheiben in unseren Kopiergeräten benutzen, kenne ich den Geruch genau. Ich habe das Zeug bei der Arbeit immer dabei.
    Rechts neben einem Pfeiler auf dem Bahnsteig sah ich ein in Zeitungspapier gewickeltes Ding liegen. Möglicherweise sonderte das den Geruch nach Isopropylalkohol ab, aber ich achtete damals nicht darauf. Ich weiß noch, wie ich hinschaute und überlegte, ob der Geruch von dort käme. Um besser zu riechen, sog ich die Luft tief ein. Isopropylalkohol ist schließlich keine besonders gefährliche Chemikalie.
    Als ich durch die Fahrkartensperre ging, sah ich nur eine Person, die zusammengebrochen war. Der Mann saß gegen einen Pfeiler gelehnt, und Schaum blubberte ihm aus dem Mund. Seine Hände zitterten. Aber er war der Einzige, und ich dachte, er sei einfach krank.
    Ich verließ den Bahnhof und wollte mich zu Fuß in Richtung Nihombashi aufmachen. Aber draußen wurde mir auf einmal sehr schlecht – übel und schwindlig. Außerdem konnte ich kaum noch etwas sehen, mit oder ohne Brille. Alles verschwamm mir vor den Augen, und mein Kopf begann zu schmerzen. Ich hatte völlig die Orientierung verloren und wusste nicht mehr, wohin ich ging. Wenn ich in die gleiche Richtung wie alle anderen ging, würde ich schon irgendwohin kommen, dachte ich und ließ mich vom Strom der Menschen treiben.
    Unterwegs musste ich mich mehrere Male hinsetzen, weil mir so schlecht war. Am liebsten wollte ich nach Hause, aber mein Büro war näher, und ich beschloss, erst mal dorthin zu gehen. Allerdings wusste ich den Weg nicht mehr und trabte zwei- oder dreimal die gleiche Strecke hin und her. Das Gehen fiel mir schwer. Ich glaubte, ich litte unter einem Anfall von Anämie. Ich überlegte sogar, ob ich in einem Laden einen Stadtplan kaufen sollte, andererseits hätte ich sowieso nichts lesen können.
    Plötzlich befürchtete ich, dass mir eine Ader im Gehirn geplatzt war. Das soll in letzter Zeit häufiger bei Leuten um die dreißig vorkommen, und ich musste an den Kredit und an unser Baby denken. Was, wenn ich plötzlich tot umfiele?
    Irgendwie schaffte ich es durch den Nebel bis Nihombashi. Von dort fuhr ich mit der Bahn bis Ginza und ging zu Fuß ins Büro – wie, weiß ich nicht mehr. Als ich etwa Viertel vor neun dort ankam, war die Morgenbegrüßung gerade im Gange. Ich zog meine Arbeitskleidung an, obwohl ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Aber die Kluft hatte ich an und wollte loslegen ( lacht ). Wohl aus Gewohnheit, denn sonst wäre

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