Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
Geschäftsleuten bei ihrer Abreise vor ein paar Tagen dringend und mehrmals ans Herz gelegt, unbe-dingt noch bei einer typisch bayrischen Beerdigung vorbeizuschauen. Ohne eine Leich’ könnte man das bayrische Wesen nicht beurteilen. Da hatte es sich doch gut getroffen, dass der arme Ganshagel just heute eingegraben wurde. Der Rösch Sigi schwieg nun, die Blaskapelle schwieg sowieso, der Rabe, der die Trauergemeinde vom Kastanienbaum aus begutachtete, knurzte ein wenig und putzte sich das schwarze Totengefieder. Der Rösch Sigi sandte nun doch noch einen leisen Jodler ins Grab, einen Hauch, es war eher ein Wehklagen als ein Gesang. Er wurde immer leiser, bis schließlich absolute Stille herrschte.
Pratap Prakash beugte sich zu Dilip Advanis Ohr.
»Ein schöner Brauch.«
»Da sagst du etwas ganz und gar Wahres. Der Österreicher hat doch auch von solchen Bräuchen erzählt. Ich habe jedoch nie wirklich Vertrauen zu ihm gefasst.«
»Ich hingegen finde es gut, dass dieser merkwürdige Österreicher aufgetaucht ist. So mussten wir wegen diesem noch merkwürdigeren Tunesier nichts unternehmen.«
»Geduld’ges Warten ist des Weisen Lust«, jambte Dilip Advani.
»Mir gefällt es jedenfalls in diesem Kurort. Gut, dass wir noch einmal zurückgekommen sind. Ich könnte mir sogar vorstellen, mich hier niederzulassen. – Und dann dieses stimmungsvolle Begräbnis!«
»Das ist richtig. In diesem Köln, wo wir waren – da gab es solche Beerdigungsfeierlichkeiten jedenfalls nicht.«
»Ich habe gehört, dort nennt man diese Festivitäten Karneval.«
Der stumme Raj Narajan schrieb etwas auf einen Zettel:
Seht dort. Vier Männer. Zwei Frauen. Polizisten?
Raj Narajan deutete die Richtung mit dem Kopf an. Dann strich er das Fragezeichen hinter dem Wort Polizei durch und machte ein Rufzeichen draus. Nur ein genauer Beobachter hätte bemerkt, dass solch ein uralter Mann nicht eine derart flinke Kopfbewegung machen konnte.
Dass die vier Männer und die zwei Frauen Polizisten waren, hätte hingegen selbst ein flüchtiger Beobachter bemerken müssen. Hubertus Jennerwein, Johann »Joey« Ostler, Franz Hölleisen und Ludwig Stengele, daneben Maria Schmalfuß und Nicole Schwattke, standen eng in einer phalanxähnlichen Formation zusammen, auch sie hatten nicht den riesigen Andrang bei Ganshagels Beerdigung erwartet. Jennerwein war über und über verklebt und verpflastert, ein Arm war eingegipst, er trug eine Augenklappe und eine riesige Halskrawatte. Mit dem gesunden Arm stützte er sich auf einen Stock, aber im Gegensatz zu den drei alten Herren brauchte er wirklich einen. Ostler war in gleicher Weise lädiert. Drei Rippen hatten ihm die wütenden Touristen eingedrückt bei seinem Einsatz vor dem Hubschrauber, sein Gesicht war geschwollen, seine gebrochene Nase hielt nur eine Gipsform gerade, seine Augen waren blutunterlaufen, den rechten Arm trug er in der Schlinge, und einen Fuß zierte ein strahlend weißer Verband. Ansonsten war auch er wohlauf. Kurz darauf, der Rösch Sigi hatte ausjodelt mit einem heiteren Guckguckhollaradio … , humpelten die beiden, gestützt von ihren Kollegen, am offenen Grab des Rainer Ganshagel vorbei, sprachen den traditionellen persönlichen Abschiedsgruß und warfen ein Schäufelchen beste Heimaterde hinein. Dem Ganshagel hatten sie ja nicht mehr helfen können (der bemitleidenswerten Frau Schultheiss von vornherein und erst recht nicht), aber die Äbtissin war in einer spektakulären Aktion dingfest gemacht worden, und als die Polizisten langsam am Grab vorbeizogen, nickten viele Bürger anerkennend, wenn nicht bewundernd. Sie stießen sich an und deuteten mit den Fingern auf die Beamten. Es wurde freundlich gelacht, mancher Daumen reckte sich nach oben. Es hätte nicht viel gefehlt, und es hätte Applaus gegeben am Grab. Obwohl der Oberbayer barock und voller Überschwang ist, wäre das aber doch etwas zu viel des Guten gewesen.
»Wer richtet die Leich’ aus? Der Kohnitzer? Der Ruhe-sanft-Kohnitzer! Dass ich nicht lache!«
»Ich möchte gar nicht wissen, wer die Leich’ ausgerichtet hat. Wie die den Sarg hinunterfahren haben lassen! Unglaublich! Keine Pietät, keine Würde, nichts.«
Kohnitzer und Söhne war der Hauptkonkurrent des renommierten Beerdigungsinstitutes Grasegger (gegr. 1848) gewesen, eine gewisse Animosität gab es immer noch. Ursel und Ignaz begutachteten alle Handgriffe des Konkurrenten naturgemäß kritisch. Das Arrangement des Blumenschmucks. Die Organisation des
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