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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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nicht streiten, sondern ihm Südamerika ausreden! Was interessiert mich der blöde Verräter? Er soll die Finger von meinem Leben lassen, er hat schon genug angerichtet!
    Die Haustür ging auf und knallte wieder zu, fremde, leichte Schritte sprangen auf die ersten Treppenstufen. Foor! , durchzuckte es mich.
    Doch es war niemand anders als der arme Le o – und ein einziger Blick in sein triumphierendes Gesicht genügte, um mich ahnen zu lassen, dass wir ihn höchstens aus reiner Gewohnheit noch so nennen würden.
    Im Nu war er umringt, beglückwünscht, umarmt.
    »Bekommst du das Geschäft zurück?«, war Frau Kindlers erste Frage.
    »Mit sofortiger Wirkung!«, jubelte er.
    Auch Nora und Herr Helmand kamen in den Flur und gratulierten, obwohl in ihrem Rücken noch immer die Urteile verlesen wurden, auf die sie seit Monaten mit Spannung gewartet hatten, und der schlaue Herr Speer, wie es aussah, tatsächlich mit dem Leben davonkam. Herr Helmand war blass und mitgenommen und sagte: »Glückwunsch, mein Freund, Sie sind dem Ganzen vielleicht entkommen.«
    »Welchem Ganzen?«, fragte der arme Leo. »Ich bin Mitläufer, ich hab nichts getan!«
    »Freuen Sie sich nicht zu früh. Mit den Prominenten«, Herr Helmand nickte zurück zum Radio, »sind sie jetzt nämlich fertig. Jetzt kommen die anderen dran. Jetzt arbeiten sie sich langsam nach unten. Die Richter, die Ärzte, das Lagerpersona l … die haben nur Befehle befolgt, aber hängen werden sie trotzdem. Die Urteile stehen fest, es geht nur noch um die Schau.«
    »Aber Herr Helmand«, sagte Mem. »Das sind doch Kriegsverbrecher.«
    »Lokführer. Kleine Gauleiter. Beamte, die nie ihren Schreibtisch verlassen haben!« Herrn Helmands Augen flackerten. »Es wird kein Ende nehmen. Wissenschaftler. Lehrer. Hitlerjugendführer. Sie kriegen uns alle am Wickel.«
    Er drehte sich zitternd um und verschwand im Zimmer; er schloss so fest die Tür, dass unweigerlich das Bild vor mir auftauchte, wie er sich schwer atmend von innen dagegenlehnte. Nora sah uns verlegen an.
    »Er kannte Heydrich«, sagte sie. »Er steht in seinem Gästebuch.«
    »Ein Gästebuch bedeutet nichts«, meinte Ooti. »Und Heydrich ist schon lange tot.«
    »Das sage ich ihm auch, aber er steigert sich eben hinein.«
    »Nora!«, rief Herr Helmand streng von drinnen; wenn er sein Ohr an der Tür hatte, musste er hören, was sie uns verriet. Nora hob lächelnd die Schultern und ging wieder hinein, aber so zögernd, als wäre sie lieber bei uns geblieben.
    Die Wranitzky lehnte in ihrem Türrahmen, Arme verschränkt, Augen glänzend, und schnarrte: »Mit diesem Herrn stimmt doch etwas nicht.«
    Herrn Helmands Kleidung roch so stark nach Schimmel, dass sie zweimal gewaschen werden und mehrere Tage im Freien hängen musste, bevor er bei Wollanks einziehen durfte. Eigentlich, vertraute Nora uns an, hatten sie ihren Hochzeitstermin Anfang Dezember abwarten wollen, aber sie wollten nicht riskieren, dass Herr Helmand uns am Ende noch Läuse einschleppte. Die Verhältnisse im Bunker würden ja immer schlimmer!
    Fröhliche Stimmen waren aus Wollanks Zimmer zu vernehmen, als sie die selbst gebauten Schränke, Wims Schwarzmarktkisten und Kartons umräumten. Wim hatte zwei Matratzen organisiert, die in einer nicht einsehbaren Ecke hinter dem Schrank verschwinden sollten, während er selbst weiter auf dem Sofa schlafen würde.
    Wir hörten es rumoren und lachen und die Wranitzky zwischendurch gutmütig etwas rufen.
    »Ach, wie mir das gefehlt hat!«, meinte Mem. »Endlich wieder ein Mann im Haus, der überzeugt ist, wir Frauen wollten uns belehren lassen!«
    Es war Samstag, ihr freier Tag, und ich fragte mich, ob sie wirklich wegen des Einzugs von Herrn Helmand so verstimmt war oder nicht vielmehr deshalb, weil sie Captain Sullavan vierundzwanzig Stunden nicht sehen würde.
    Plötzlich wurde es schlagartig still im oberen Stock. Dann hörten wir die erschrockene Stimme von Herrn Helmand: »Was ist das? Wie kommt das hierher?«
    Die Pistole! Mein Herz setzte aus. In Wollanks Zimmer war sie also gewesen! Ich sah, wie Henry ganz langsam die Augen vom Mathebuch hob.
    In Wollanks Zimme r … und Wim hatte mir nichts gesagt!
    »Ja, seid ihr denn noch ganz bei Trost?«, schrie Herr Helmand.
    Das Poltern setzte wieder ein, wanderte durch den Flur und die Treppe hinunter, Wim heulte: »Aua!«, und mir schossen Tränen in die Augen. Das geschieht euch recht!
    »Wa s …«, begann Mem und stand auf, aber Herr Helmand wartete nicht, bis

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