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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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Die Wranitzky, die jedem ihrer Kinder eine Kartoffel vom Teller pickte und in ihren Emailletopf warf. Sandra und Brigitte mit ihren schmalen, hübschen, stummen Gesichtern, Frau Bolle mit ihrer rettenden Serviette, Frau Kindler, beduselt vom Wein, und der arme Leo, dem Hektor unbemerkt etwas auf die Schulter gesabbelt hatte, das aussah wie eine Schneckenspur.
    Und Mem. Dachte sie an ihre eigene Hochzei t … mit Captain Sullavan? Wenn dies der Fall war, dann schien es sie zumindest nicht mit Vorfreude zu erfüllen; noch wirkte sie bedrückt angesichts dessen, was ihr als Nächstes bevorstand. Selbst wenn Ooti etwas ahnte, wofür vieles, nein: alles sprach, würde es schwer sein, zu gestehen und sie so bitter zu enttäuschen, von Henry und meinem Vater ganz zu schweigen. Ooti und Mem hatten sich am Morgen gegenseitig frisiert, doch unter den hübschen Locken auf Mems Kopf stach ihre Traurigkeit nur umso stärker hervor und plötzlich tat sie mir leid und ich hoffte, dass es nicht allzu lange dauern würde, bis ich bereit war, ihr zu verzeihen.
    Wim war in seinem Element. Da ich an der Längs- und er an der Querseite des Tisches saß, konnte ich ihn nur zwischen den Gängen sehen, wenn er zu den Kellnern hinübereilte, um Anweisungen zu geben, und natürlich musste er nach dem Essen aufstehen, um sich beklatschen zu lasse n – keiner im Raum, der nicht gewusst hätte, wem wir unser letztes Sattessen verdankten! Wim strahlte, hob in gespielter Bescheidenheit die Schultern und verbeugte sich.
    Es hätte mich nicht gewundert, ihn auch noch für die Tischrede verantwortlich zu sehen, aber die ließ Herr Helmand sich denn doch nicht nehmen.
    »Meine Herrschaften, liebe Nachbarn aus dem Kiekebuschweg«, hub er an, »an diesem Tag der Freude ist es mir ein tiefes Bedürfnis, Ihnen zu danken. Ich tue dies auch im Namen meiner Frau und meines Adoptivsohns Wi m …«
    Klirr!
    Wenn es irgendjemanden am Tisch gab, dem ich nicht zutraute, unabsichtlich seine Gabel zu Boden fallen zu lassen, dann war es mein Bruder Henry, und das Geräusch durchfuhr mich wie der verspätete Pistolenschuss, den abzugeben er gehindert worden war. Ohne sich zu entschuldigen, beugte er sich zur Seite, zog die Gabel unter seinem Stuhl hervor, legte sie neben seinen Teller und blickte den wartenden Redner herausfordernd an.
    Hundert Ameisenfüßchen huschten über meinen Kopf.
    »Wir leben in rauen, brutalen Zeiten, von denen man uns sagt, dass wir nichts Besseres verdient haben«, setzte Herr Helmand wieder an. »Uns als Volk nicht zu verlieren, das ist jetzt das Gebot der Stunde, obwoh l – und gerade wei l – andere Mächte alles daransetzen zu verhindern, dass wir je wieder erhobenen Hauptes gehen. Vorläufig kann es also nur im Kleinen geschehen, in den Familien, den Hausgemeinschaften. Zusammenhalt! Verständnis! Achtung! Nichts anderes haben erst Nora und Wim, dann ich in Ihrem, unserem Haus erleben dürfen. Liebe Mitbewohner, dass Sie mich in Ihre Gemeinschaft aufgenommen haben, war ja nicht selbstverständlic h …«
    Mit durchdringendem Quietschen schob Henry seinen Stuhl nach hinten und streckte die Beine aus. Mittlerweile merkten auch die anderen, dass etwas nicht stimmte, und warfen meinem Bruder ratlose Blicke zu; Sandra hob diskret eine Hand vor den Mund, um ein Kichern zu unterdrücken.
    »Umso größer unsere Freude und Genugtuung, dass wir mit-einander dieses Fest begehen«, fuhr Herr Helmand irritiert fort. »Lassen Sie uns alles, was von außen Tag für Tag auf uns eindringt, für einige Stunden vergesse n …«
    Mein Bruder entfaltete seine Serviette und setzte an, sich die Nase zu schnäuzen, aber Mem war jetzt gewarnt, in letzter Sekunde riss sie ihm das Tuch aus der Hand und zischte: »Paul Henry Sievers!«
    » … und wünschen Sie uns Glück, wir können es brauchen«, endete Herr Helmand ohne weitere Unterbrechung und hob sein Glas, worauf auch alle anderen erleichtert aufstanden und auf das Wohl der Familie anstießen. Rundum hörte ich es murmeln: »Gut gesprochen! « – »Der Mann hat Recht!«
    Als wir uns wieder setzten, fing ich den fragenden, bestürzten Blick auf, den Wim meinem Bruder zuwarf, bevor er beschloss, die peinliche Situation so schnell wie möglich zu überspielen und dem Kellner einen Wink zu geben. Der Mann ging hinaus und gleich darauf schlüpften drei Musiker mit Geigen und einem Akkordeon in den Raum, die schon auf ihr Stichwort gewartet haben mussten.
    Kaum hatten Nora und Herr Helmand den Walzer

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