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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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während ich in der Schule war. In einer großen Schachtel sammelte er Nägel und Schrauben, die er im Schutt gefunden und mithilfe von Steinen wieder gerade geklopft hatte. Hinter dem Sofa, das er und seine Mutter als Bett verwendeten, stapelten sich kleine und größere Bretter und Metallteile. Als Erstes hatte er eine Brennhexe gebastelt, um die man Wollanks nur beneiden konnte.
    Wims Brennhexe war eine Blechkiste mit Schublade, in der man mit allen möglichen brennbaren Materialie n – wie Kohle, Holz und Tannenzapfe n – Lebensmittel garen konnte. Etwas Praktischeres als eine Brennhexe konnte man in Zeiten der Stromabschaltungen nicht besitzen. Brennhexen konnte man auch kaufen, dann sahen sie aus wie ein kleiner Herd und besaßen sogar eine Kochplatte, aber wer hatte schon das Geld dafür?
    Das Ofenrohr für seine Kiste, das aus dem offenen Fenster hing, wenn Wollanks in ihrem Zimmer kochten, hatte Wim aus einer Fabrik geklaut, die zurzeit demontiert wurde, um als Reparationsleistung in eins der von Deutschland geschädigten Länder geschickt zu werden. Wir hatten die Arbeiter der Fabrik dagegen protestieren sehen und Wim hatte gleich gewusst, dass auf dem Gelände etwas zu holen sein musste.
    »Was würdest du denn dafür haben wollen, wenn du uns auch eine Brennhexe baust, Wim?«, fragte meine Mutter vorsichtig.
    »Ich habe tatsächlich vor, ein Geschäft daraus zu machen«, gab Wim bescheiden zurück. »Aber selbstverständlich würde ich zuerst dieses Haus beliefern, Frau Sievers.«
    »Das ist nett von dir«, murmelte Mem ein wenig beschämt; es kostete sie Überwindung, Wim um etwas zu bitten, denn zwischen ihr und seiner Mutter standen die Dinge nach wie vor nicht zum Besten.
    Solange er kein passendes Blech für eine zweite Brennhexe finden konnte, experimentierte Wim mit Kochkisten, in denen man angegarte Speisen allein mit ihrer Resthitze fertig kochen konnte. Ein Topf, zum Beispiel mit Kartoffeln, wurde zwischen mehrere Schichten Papier, Stroh oder Handtücher gepackt, in die Kiste gestellt, diese fest verschlossen und mit einer Wolldecke umwickelt. Wenige Stunden später konnte man sich fertige Kartoffeln in den Mund schieben!
    Mem sagte nichts, wenn ich nach dem Abendessen noch zu Wollanks hinaufging, aber natürlich wusste ich, dass sie es nicht gern sah.
    »Kannst du nicht wenigstens abends bei uns bleiben?« Ooti war es, die mich beiseitenahm. »Wir sehen den ganzen Tag schon nichts von dir!«
    »Wir essen aber doch zusammen, und wir bereden, was es zu bereden gibt. Warum soll ich danach nicht zu Wim gehen? Den ganzen Winter sind wir nicht aus dem Zimmer gekommen.«
    »Ich sehe ein, dass Wollanks interessanter sind«, erwiderte Ooti. »Aber wir sind immer noch eine Familie, vergiss das nicht.«
    Als ob man nicht gleichzeitig eine Familie sein und Freunde haben konnte!
    Das dritte Stück, das Wim gebaut hatte, war ein Schrank, der zwischen Sofa und Tisch stand und den Raum in zwei Hälften teilte. Da der Schrank noch keine Türen besaß, ließ sich beobachten, wie er sich von Woche zu Woche mit Kleidungsstücken füllte. Wollanks, die vor sechs Wochen mit nicht viel mehr als einem blauen Umhang und einem Kerzenständer angekommen waren, besaßen dank des Bezugsscheins für Ausgebombte und Flüchtlinge nun je ein Paar Ersatzhosen, zwei Pullover, eine Damenbluse und zwei Militärdecken. Unterwäsche zum Wechseln hatten sie auch, die sie alle zwei Tage wuschen und zum Trocknen unters Fenster hängten.
    »Wirst du der Dame Wollank nicht langsam lästig?«, stichelte Mem. »Ich jedenfalls würde ihren Sohn nicht den ganzen Abend hier herumsitzen haben wollen.«
    »Der kommt nicht, mach dir keine Sorgen«, biss ich zurück.
    Sie hatten sogar ein buntes Deckchen auf Herrn Kindlers Spieltisch gelegt. Es mutete seltsam an, dass sie ihren Tisch dekorierten und regelmäßig Kerzen ins Fenster stellten, während Wim sich immer noch seine zu kleinen, vorn aufgeschnittenen Schuhe mit Kordel an den Fuß wickelte. Aber wer sich im früheren Leben mit schönen Dingen umgeben hatte, konnte wahrscheinlich nicht anders. Der kleine Anflug von Verschwendung im Zimmer der Wollanks gefiel mir, und dass sie sich Veränderungen einfallen ließen und die Dinge nicht einfach hinnahmen, wie sie waren. Bei uns standen und lagen immer noch dieselben Sachen herum wie vor einem Jahr, und sie standen und lagen sogar noch an denselben Stellen.
    »Wenn wir unsere Schränke in die Mitte des Zimmers rücken, haben wir eine Schlaf-

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