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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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und eine Wohnecke«, schlug ich Mem und Ooti vor.
    Aber die hatten noch nie gehört, dass ein Schrank woanders stehen konnte als an einer Wand, und wollten nichts davon wissen. »Ich habe nicht die Absicht, meine Familie wegen irgendeiner Optik unter den Trümmern von Sperrholzkisten hervorzuziehen«, versetzte Mem.
    Wollanks besaßen sogar ein Radio, hatten es von Anfang an besessen, obwohl sie nichts davon erwähnt, geschweige denn jemandem angeboten hatten mitzuhören. Nachdem sie mich zum ersten Mal eingeladen hatten, stand es plötzlich auf dem Tisch und die beiden freuten sich an meiner Überraschung.
    »Ist es nicht schön, Wim, dass wir unseren Gästen noch etwas bieten können?«, meinte Frau Wollank lächelnd.
    Gleichwohl war ihr Radio der Grund für den bislang einzigen Streit, den ich mit Wim gehabt hatte.
    »Jetzt weiß ich es endlich!«, hatte ich ausgerufen. »Als ich an eurem ersten Abend vor eurer Tür stand, hab ich gleich gemerkt, dass etwas nicht stimmte, aber ich kam nicht darauf, was es war. Dabei habe ich nur eine doppelte Radiostimme gehört! Eine aus eurem Zimmer, dieselbe aus dem Zimmer von Frau Kindler.«
    »Nicht stimmte?«, wiederholte Wim gepresst. »Was soll denn mit uns nicht stimmen?«
    »Das hab ich doch gar nicht gemeint«, sagte ich verdattert.
    »Seid ihr uns deshalb ins Fenster geklettert?«
    »Wim«, bremste ihn seine Mutter mit leiser Stimme.
    Wim senkte den Kopf und feilte weiter an seinen Schrauben und Nägeln; ich konnte sehen, dass seine Wangen glühten. Vor Verwirrung schossen mir Tränen in die Augen, aber als ich mich umdrehen und gehen wollte, hielt Frau Wollank mich fest.
    »Wir wollten einfach unter uns bleiben, Alice«, sagte sie. »Das verstehst du doch. Unser Willkommen hier war alles andere als herzlich.«
    Ich zog die Nase hoch und nickte beschämt.
    »Jetzt freuen wir uns selbstverständlich, dass du uns besuchst. Nicht wahr, Wim? Wim! So ist es doch. Alice darf sehr gerne kommen und mit uns Radio hören.«
    Sie führte mich zum Sofa und drückte mich mit sanfter Gewalt in den Sitz.
    Zum Glück gab mir die nächste halbe Stunde Gelegenheit zu schweigen, denn nachdem Frau Wollank das Radio eingeschaltet und neben mir Platz genommen hatte, lauschten Mutter und Sohn gebannt der Berichterstattung über den Prozesstag in Nürnberg. Nach Hermann Göring, der in vielen Worten dargelegt hatte, über Verbrechen an Juden in seiner Eigenschaft als Luftwaffenchef gar nichts gewusst haben zu können, war jetzt Außenminister Ribbentrop an der Reihe zu erklären, Hitler habe alle wichtigen Entscheidungen allein getroffen, und wenn er selbst Schuld trage, dann daran, als treuer Gefolgsmann viel zu lange gezweifelt zu haben am unbedingten Friedenswillen des Führers.
    »Der kann sich die Mühe sparen«, bemerkte Frau Wollank. »Der ist ein toter Mann, wie alle anderen. Dieser ganze Prozess ist ein Theaterstück und der Text ist längst geschrieben.«
    Dennoch klebte sie förmlich mit dem Ohr am Apparat und auch Wim wurde durch Ribbentrop so sehr von seinem Ärger abgelenkt, dass er diesen danach komplett vergessen zu haben schien. Ich meinerseits tappte immer noch im Dunkeln, was überhaupt los gewesen war, und musste mich mehr anstrengen als er, so zu tun, als stünde nichts zwischen uns.
    »Als Sie ankamen, dachte ich, Sie wären eine Fürstin«, gestand ich Frau Wollank, als endlich das Musikprogramm begann.
    Sie lachte so glockenhell, dass Kindlers nebenan eine geschlagene Minute aufhörten zu streiten. »Ach, doch nicht mit meinem armen Kop f …«, sagte sie und fuhr sich mit einer Hand durch das immer noch raspelkurze blonde Haar.
    Aber sie sagte nicht, dass ich mich geirrt hätte. Anmutig und lächelnd schritt sie über den roten Teppich meiner Bewunderung, als stünde ihr dieser ganz selbstverständlich zu, und mit großem Vergnügen rollte ich ihn Abend für Abend aus.
    Es gab allerdings Seiten an ihr, die ich nicht schätzte. Was Mem von Wims Mutter dachte, wäre ihr in seinem Beisein nie entschlüpft, Frau Wollank hingegen fand überhaupt nichts dabei, Spitzen gegen Mem auch vor mir zu äußern. In einigem musste ich ihr stillschweigend Recht gebe n – ja, Mem war nachtragend, übernahm gern ungefragt die Führung und musste immer und überall das letzte Wort habe n –, aber es verletzte und verwirrte mich, dass Frau Wollank mich mit solchen Bemerkungen in Verlegenheit brachte.
    Mein Unbehagen wurde auch dadurch nicht gedämpft, dass sie ihre Spitzen verpackt und

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