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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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kann man sich doch denken. Überhaupt: Wenn England eine Insel sein soll, nur weil es von Wasser umgeben ist, dann ist auch Amerika eine Insel, und hast du davon je gehört?«
    »Nee«, erwiderte Henry, ließ die Schultern sinken und gab sich geschlagen.
    »Siehste. Das wird schon irgendeinen Grund haben!«, schloss ich befriedigt.
    »Habe ich heute schon für Halunder gedankt?«, fragte Mem, an Ooti gewandt.
    »Nein, Wilma, heute noch nicht«, sprang diese ihr bei und es entging mir nicht, dass sie trotz der beunruhigenden Aussicht auf den Tommy-Besuch einen Blick tauschten, aus dem Erleichterung sprach. Als wären beide froh, dank Henrys Neuigkeit wenigstens das Thema Juden vorerst hinter sich lassen zu können.
    Wenige Tage darauf bekamen wir unseren Garten. Zu viert sprachen wir nach der Benachrichtigung auf dem Rathaus vor, und im Moment, als Mem die Unterschrift für die Übernahme unserer Parzelle leistete, lag etwas Verbindendes in der Luft, das ans Herz rührte wie das Jawort bei einer Hochzeit. Dass das Land nicht in unseren Besitz überging, sondern von der Stadt nur gepachtet wurde, hatte wiederum etwas äußerst Beruhigendes, denn ein Stück von Hamburg hätte ich gar nicht besitzen wollen. So vorübergehend, wie die Vereinbarung angelegt war, war ich zutiefst einverstanden, nichts an diesem Garten würde zwischen uns und Helgoland stehen und ich schloss unser Stückchen Land ins Herz, noch bevor ich es überhaupt gesehen hatte. Tief in mir fühlte ich einen ernsten, feierlichen Entschluss, alles dafür zu tun, dass der geschundene, verbrannte, von Bomben durchsiebte Boden, den man uns anvertraute, genesen, sprießen und gedeihen würde.
    Als wir, Parzellennummer und Lageplan in der Hand, vor unserem Garten standen, wurde ich mir der Herausforderung sehr stark bewusst.
    »Na ja«, hub Ooti nach einer langen Minute an. »Es war nie die Rede davon, dass sie Filetstücke zu verteilen haben.«
    »Sei nicht gemein!«, sprang ich dem schuttbedeckten Boden zu unseren Füßen bei. »Das haben wir ganz schnell aufgeräumt. Der arme Leo leiht uns bestimmt Schaufel und Schubkarre.«
    »Wenn er das hier sieht, bietet er uns hoffentlich Hektor an«, murmelte Mem.
    »Von dem Schutt spreche ich gar nicht«, erwiderte Ooti. »Auch nicht von dem Baumstumpf, den wir ausgraben müssen, oder davon, ob sich unter diesen ganzen Steinen überhaupt fruchtbarer Boden befindet. Ich spreche hiervon«, sagte sie und zeigte auf die dreistöckige Hauswand, an die unser schmaler Streifen Land sich schmiegte. »Wenn mich nicht alles täuscht, liegt unser künftiger Garten zu Dreiviertel des Tages im Schatten.«
    »Ach was. Es ist trotzdem Dreiviertel besser als nichts«, beschloss Mem, enterte mit mehreren großen Schritten den vordersten Geröllhaufen und nahm unser neues Land endlich in Besitz. Wir anderen kletterten ihr sofort hinterher.
    »Es ist doch gut, dass wir eine Mauer haben! Dort können Ranken wachsen.«
    »Und ein Windschutz ist es außerdem!«
    »Salat und Bohnen wachsen auch im Schatten. Rüben sowieso.«
    Ich breitete die Arme aus. Bildete ich es mir nur ein oder war die Luft auf unserem Grundstück tatsächlich besser als im Rest der Stadt? Unser Grundstück! Foor würde begeistert sein. Wir würden jeden Sommerabend hier verbringen, an die angenehm schattige Mauer gelehnt, Henry würde schreiben und lesen und wir anderen dem Gedeihen unserer Anpflanzungen zusehen.
    Wenn man den Hals reckte, konnte man weiter hinten einen Teil der bereits geräumten großzügigen, sonnigen Freifläche erkennen, die wir uns eigentlich erhofft hatten. Aber Schwamm drüber, Wranitzkys und Bolles hatten überhaupt keinen Garten abbekommen, schon deswegen durften wir uns nicht beklagen.
    »Da kommen schon unsere neuen Nachbarn«, bemerkte Ooti.
    Eine kleine Familie stapfte durch die Geröllhaufen grinsend auf uns z u – eine Mutter, drei Töchter, identische lange Röcke und Kopftücher.
    »Seht doch, die Mädchen sind sogar in eurem Alter«, rief Mem erfreut.
    Ich hätte nie gedacht, dass ich mir einmal die Wranitzky als Nachbarin auch unseres Gartens wünschen würde, aber genau dieser Gedanke schoss durch meinen Kopf und, wie er später gestand, auch durch den von Henry.
    Dann lieber die Wranitzk y …!, dachten wir beide, als auf der übernächsten Parzelle die Larsen-Hexen ihr künftiges Terrain abzuschreiten begannen.

8

    An den Veränderungen im Zimmer der Wollanks ließ sich erkennen, womit sich Wim die Vormittage vertrieb,

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