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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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einfinden. Energisch, geschmackvoll zurechtgemacht und mit wohlvorbereiteter Verteidigungsrede war sie mittags aufgebrochen, und am Abend erfuhren wir, dass man sie gleich dortbehalten hatte.
    Wim war so durcheinander, dass er drei Tage stotterte. »Sie war doch gerade erst wieder frei. Gerade erst wieder frei!«, wiederholte er ein ums andere Mal und seine größte Sorge war, der Fürsorge übergeben zu werden; erst nachdem sich eine ganze Woche lang niemand gemeldet hatte, um ihn abzuholen, wurde er ruhiger.
    Jeden Vormittag hörte ich ihn in seinem Zimmer klopfen und sägen, Wut in jedem Schlag. Zwei seiner Kochkisten hatte er schon verkauft und den unfassbaren Betrag von fünfhundert Reichsmark eingenommen. Bevor er zum Schwarzmarkt und Trümmersammeln aufbrach, leistete er mir über Mittag noch eine halbe Stunde Gesellschaft, war aber zunehmend unruhig und in Eile, denn Kistenherstellung, Tauschgeschäfte und die anschließende Aufgabe, quer durch die Stadt zu fahren, um Nora Lebensmittel ins Gefängnis zu bringen, füllten ihn ganz aus und er hatte nur noch wenig Lust auf eine ziellose Unterhaltung.
    Das Herrenzimmer hielt er peinlich sauber, putzte und wischte, wie um zu beweisen, dass er allein zurechtkam. Dies und seine unermüdlichen Bemühungen um Nora imponierten Mem so sehr, dass sie ihm zögernd vorgeschlagen hatte, abends mit uns zu essen; sie hatte sogar seiner Mutter einen Brief über das Ergehen ihres Sohnes geschrieben. Ihre Vorbehalte Wim gegenüber schien sie seitdem abzulegen, zumal die Vorteile des Arrangements für jeden sichtbar waren: nicht nur dass sich unsere Küchenzeit zusammengelegt verdoppelte, sondern Wim trug reichlich zu unserer Verpflegung bei. Er brachte mal eine Fischwurst, mal etwas Schmalz oder ein Stück Käse mit, und so freundlich und aufgeschlossen, wie er zwischen uns saß und plauderte, selbst Ooti aufheiterte, die ihre Heimkehrer-Wache am Bahnhof wieder aufgenommen hatte, konnte er ohne Weiteres als Familienmitglied durchgehen.
    Den kleinen Verdienst, der sich aus unserer mittlerweile mehrfach im Wert multiplizierten Stange Zigaretten ergab, teilte Wim Tag für Tag getreulich durch zwei. Wie er es schaffte, den Überblick zu behalten über »seine« und »unsere« Geschäfte, wusste ich nicht, aber ich war froh, dass von »unseren Geschäften« überhaupt noch die Rede war, obwohl ich momentan kaum in der Lage war, etwas beizutragen.
    Hörte ich gegen Mittag Wims Schritte auf der Treppe, schlüpfte ich unter die Decke und zog mein linkes Bein hinter der Matratze hervor, um es an der passenden Stelle zurechtzulegen. Dass der linke, der hölzerne Fuß kleiner war als der rechte, fiel zum Glück kaum auf. Danach kam es nur noch darauf an, mich möglichst wenig zu bewegen, damit ein Teil von mir sich nicht unversehens vom anderen trennte.
    »Wann kommst du bloß wieder auf die Beine, Alice?«, fragte er und packte in Tütchen abgefüllten Zucker und Mehl in seinen Beute l – das Einzige, was ich von zu Hause aus noch erledigen konnte. »Herr Goldstein hat sich auch schon nach dir erkundigt.«
    »Bald!«, verriet ich zuversichtlich.
    Wim wusste nichts von Schwester Angela und dem Krüppelturnen, also konnte ich ihm auch nicht erzählen, dass es ihr tatsächlich gelungen war, mir einen Arzttermin zu verschaffen. An dem Mittwoch, an dem Mem ohne mich zur Turnstunde gegangen und mit unserer Vorturnerin zurückgekehrt war, war Wim nicht zu Hause gewesen. Ihm war sowohl Schwester Angela entgangen als auch ihr Schreckensruf, als Mem die Bettdecke zurückschlug und sie besichtigen ließ, was ich bei der Hamsterfahrt angerichtet hatte.
    Ich zählte die Tage. Mein Bein heilte gehorsam, die blauen Flecken und Blutergüsse waren fast vollständig verschwunden und wo ich es blutig gescheuert hatte, blätterte die Kruste ab und ließ zarte neue Haut erkennen. Der Termin war am Vierzehnten; wenn die Prothesenbauer sich ranhielten, konnte ich vielleicht Ende des Monats schon wieder laufen!
    Dass Mem sich so rasch mit meinem Zuhausebleiben abfand, hatte ich nicht erwartet. Natürlich hatte sie sic h – einige Tage nachdem ihr Zorn über die heimliche Hamsterfahrt und deren Folgen verraucht wa r – mit mütterlich besorgter Miene zu mir auf die Matratze gesetzt und mir wieder einmal klarzumachen versucht, wie hübsch mein Gesicht, mein Haar und meine Augen seien und wie wenig ein fehlendes Bein bedeutete im Vergleich zu Mut, Witz und Mundwerk. Mem malte mir aus, wie einfach es sein würde:

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