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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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Nora und Du sollst du doch sagen!«
    Vom Du hatte sie bislang zwar nichts erwähnt, aber ich nickte zögernd. »Wollen wir den Hof da drüben allein probieren, Wim?«
    »Von mir aus«, brummte er missmutig.
    Frau Wollank blieb auf der Straße zurück, als wir in die nächste Einfahrt einbogen. Wim blickte finster, aber mir fiel nichts ein, womit ich ihn aufheitern konnte.
    Plötzlich sagte er: »Es ist wegen Vater. Wenn es mehr als Glück gewesen wäre, hätte er derjenige sein müssen, der es schafft.«
    »Was ist mit ihm passiert?«, fragte ich vorsichtig, obwohl wir schon fast am Haus waren.
    »Und meine Vettern und Kusinen, die in Hamburg verbrannt und erstickt sind.«
    Man muss damit rechnen, Antworten zu bekommen, wenn man fragt. Ich nahm an, dass Wim mir dies damals sagen wollte. Danach fragte ich nie mehr nach seinem Vater.
    Ob Frau Wollan k – Nora ! – mit ihrer Strategie, sich im Hintergrund zu halten, grundsätzlich richtiglag oder es wiederum nur reines Glück war: Auf den nächsten Kilometern gelang es Wim und mir tatsächlich, den Bauern das eine oder andere abzuringen. Wir redeten nicht viel, sagten nur Guten Tag und hielten den Leuten die geöffnete Schultasche mit den Nägeln unter die Nase. Wir hatten mehr Glück, wenn ein Mann die Tür öffnete.
    Selbst wenn es nicht mehr als zwei, drei Kartoffeln gab: Ganz selten wurden wir mit leeren Händen weggeschickt und Noras Rucksack begann sich zu füllen. Auf einem Hof erhielten wir für zwei Fahrradspeichen-Stricknadeln sogar ein frisch gebackenes Brot, das nach Weizen schmeckte und nicht nach Sägespänen wie die Brote in der Stadt.
    Nach einer Weile wurden wir selbstbewusster und verließen einen Hof nicht ohne Gegenwehr. »Geht weiter, wir haben selber nichts«, herrschte uns eine Frau an, die im Vorgarten eines Gehöfts Wäsche aufhängte.
    »Was brauchen Sie denn?« Wim war entzückt, dass ihm sein Stichwort einfach so hingeworfen wurde. »Schrauben und Muttern? Nägel? Was immer es ist, wir besorgen es.«
    Schweigend fuhr die Frau fort, Wäsche auf die Leine zu hängen.
    »Wäscheklammern?«, versuchte es Wim.
    Sie drehte sich nicht um. Ich zog Wim am Arm, hier hatte es wohl wirklich keinen Zweck.
    »Angelhaken? Angelschnur? Angelnetz?«, rief Wim im Rückwärtsgehen. »Das ist Ihre letzte Chance, meine Dame, gleich sind wir weg!«
    Die Frau tippte sich an die Stirn.
    »Nadeln? Garn? Etwas für den Haushalt?«
    »Schraubverschlüsse.«
    Wir drehten uns um. Die Frau stand mit in die Hüfte gestemmten Händen da. »Wenn ihr mir Behälter mit Schraubverschlüssen besorgen könnt, dürft ihr wiederkommen.«
    Komische Welt: In der Stadt fehlte das Essen, auf dem Land fehlten Behälter, um es aufzubewahren!
    »Und Saatgut«, sagte die Frau, die plötzlich gesprächiger wurde. »Was wir abliefern sollen, schreiben sie uns vor, aber dass man Saatgut dafür braucht, geht denen nicht in den Kopf. Bürokraten, sagt mein Mann. Städte r …!«
    Unsere Hamstertour war ein Erfolg! Was zählte es, dass die Blase in meiner rechten Hand sich aufrieb? Auf einem Hof bat ich, das stinkende, aber saubere Plumpsklo benutzen zu dürfen, zog den Strumpf wieder über mein Bein und band ihn neu fest. Darunter fühlte es sich heiß und klebrig an; ich hatte eine gewisse Vorstellung weshalb, aber nicht den Mut, den Verband zu entfernen und nachzusehen.
    »Das hat aber gedauert«, sagte Nora draußen leise zu mir. »Hast d u … du weißt scho n … den Fluch? Brauchst du etwas?«
    Ich sah sie verständnislos an. Eine zarte rosa Tönung vertrieb die Blässe von Noras Wangen. »Vergiss es«, sagte sie rasch und setzte sich wieder an die Spitze unserer kleinen Gruppe.
    Am frühen Nachmittag erreichten wir einen der Dorfbahnhöfe auf der Strecke nach Hamburg. »Ich würde sagen«, erklärte Nora mit einem Blick auf mich, »wir haben für heute genug.«
    Wir ließen uns auf dem Boden nieder, ans Bahnhofsgebäude gelehnt, und untersuchten unseren Rucksack. Wir hatten Kartoffeln, Steckrüben und ein paar keimende Zwiebeln, dazu das Brot, von dem wir hungrig ein kleines Stück Wegzehrung abbrachen, und etwa zwei Kilo Mehl. Für einen ganzen Tag der Wanderung war es nicht viel, aber beim nächsten Mal, malte Wim uns aus, konnten wir mit Schraubbehältern und Saatgut vielleicht schon einen schwunghaften Handel treiben.
    »Das habt ihr prima gemacht, Kinder!«, lobte Nora und strich mir über die Schulter. Ein kleiner Schauer blieb sekundenlang an der Stelle zurück, wo ihre Hand

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