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Unterland

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Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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machen. Selbst unser Foor erzielte in Abwesenheit einen Punkt dafür, ein harmloser Biologe der Helgoländer Vogelwarte zu sein, der Rotkehlchen und Kiebitzen Ringe über die Füßchen zog, aber nie und nimmer freiwillig in einen Krieg!
    Wenn man sich vorzustellen versuchte, dass Foor und die drei Engländer um ein Haar aufeinander angelegt hätten, kam man indes nicht sehr weit. Man fand überhaupt keinen Grund mehr dafü r – oder dafür, dass man plötzlich froh sein musste, dass sie sich nie begegnet waren.
    Auch ich landete gegen Ende noch einen Punkt: Als ich beim Streuselkuchen meinen ganzen Mut zusammennahm und in meinem dürftigen Englisch endlich loswurde, was mir auf der Seele lag, seit der Captain unser Haus betreten hatte.
    »Do you miss your island, too?«, fragte ich.
    Captain Sullavan sah mich so bestürzt an, als hätte das noch nie jemand von ihm wissen wollen!
    »My jolly, yes!«, entfuhr es ihm, während Wasser in seine Augen schoss und es erst mir, dann Ooti, dann Mem nicht anders erging; allseitiger Schmerz hielt uns für mehrere lange Sekunden im gemeinsamen Griff.
    Die Tommys waren seit über einem Jahr in Deutschland. Sie hatten uns bekämpft, besiegt und besetzt, aber erobert wurden wir erst durch Captain Colin Sullavan.
    »Meine Schwester ist mit ihren Kindern während der Besatzung auf der Insel geblieben«, erzählte er. »Sie konnten in der alten Dienstwohnung ihres Verwalters unterschlüpfen. Alice und ihr Mann hatten eine kleine Pferdezucht, von der leider nichts erhalten ist, fürchte ich, aber sie hofft immer noch, einige Tiere zurückzubekommen. Die beiden Hengste, die Zuchtstute n … eigentlich waren sie völlig ungeeignet, das Englische Vollblut ist eine sensible, nervöse Rasse, aber alle wurden von den Deutschen kassiert und an die Front geschickt.«
    Ich war stumm vor Entsetzen. »Das klingt verrückt, ich weiß«, sagte der Captain. »In ganz Europa suchen Menschen nach ihren Angehörigen, was zählen da ein paar Pferde? Aber für meine Schwester Alice gehörten die Tiere praktisch zur Familie und sie versucht alles, um ihren Weg zurückzuverfolgen.«
    Mehr erzählte er nicht, aber es reichte, um meine Stimmung für die nächsten Minuten komplett aus der Sonne zu holen. Gab es eigentlich noch Fragen, die man unbesorgt stellen konnte? Selbst an den Tieren hatten wir uns also vergriffen!
    Danach wandte sich das Gespräch wieder unkomplizierten Dingen zu, Dingen, die ich vor wenigen Stunden noch als belanglos abgetan hätte, aber an diesem Tag rückte mir erstmals ins Bewusstsein, dass man Belanglosigkeiten nicht unterschätzen darf. Die Existenz von Belanglosigkeiten war wahrscheinlich der einzige Grund dafür, dass es Deutschen und Engländern überhaupt wieder möglich war, miteinander an einem Tisch zu sitzen.
    »I hope your sister finds her horses«, sagte ich zum Abschied zu Captain Sullavan.
    »I’ll let you know«, versprach er und ließ es klingen, als habe er vor, uns noch einmal zu besuchen.
    Deshalb war ich gar nicht besonders überrascht, als Tom Burrows zwei Tage später grinsend vor unserer Tür stand. Captain Sullavan habe ihn geschickt: Ob Mem sich vorstellen könne, als Haushälterin für ihn zu arbeiten!
    »Der alte Henry, sieh mal an!«, sagte Wim nur, als ich ihm freudestrahlend davon erzählte. »Wir müssen ihn völlig unterschätzt haben.«
    »Wen oder was meinst denn du mit wir? «, fragte ich irritiert.
    Warum Henry Wim nicht mochte, konnte ich nachfühlen: In Wims Gegenwart wurde mein Bruder durchsichtig. Wenn Wim mit am Tisch saß, führte Henry vor, was man ein beredtes Schweigen nennt, und nicht einmal das fiel großartig auf. Aber was konnte Wim gegen Henry haben? Innerhalb kürzester Zeit hatte er sich ein kleines florierendes Geschäft aufgebaut, er hätte allen Grund gehabt, großzügig zu sein!
    Und dennoch missgönnte er Henry, dass die Begegnung mit den Tommys ein Erfolg gewesen war. Er missgönnte Henry sowohl den Fisch (von dem Wim nicht hatte mitessen wollen, obwohl wir es ihm natürlich angeboten hatten; unter Hinweis auf all seine Verpflichtungen hatte er es vorgezogen, eine Viertelstunde vor Eintreffen der Tommys zu verschwinden), als auch die Freundschaft mit Ned und Tom, ja selbst den Job, der Mem und Ooti vom Steineklopfen befreite und indirekt ein Erfolg Henrys war.
    »Mein Bruder ist still, aber nicht blöd«, sagte ich verschnupft.
    »Dein Bruder gehört zu denen, die Glück haben, das ist alles«, erwiderte Wim verkniffen, und

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