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Unterm Kirschbaum

Unterm Kirschbaum

Titel: Unterm Kirschbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
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Kopf?‹, und seine Antwort war immer dieselbe gewesen. ›Nein.‹ Warum denn auch, hätte er noch hinzufügen können, denn spielte man in der Bundesliga, war man doch der absolute King: Man verdiente Millionen und war ein paar Mal pro Woche in den Medien, sodass alle einen kannten und bewunderten. Sollte er bei diesen Aussichten vielleicht Krankenpfleger lernen und anderen die Kacke vom Hintern wischen? Und seine Rechnung war ja aufgegangen. Dass er zwischendurch einmal ein wenig in Abstiegsgefahr geraten war, damit musste man leben. In den vielen Artikeln, die über ihn geschrieben worden waren, stand immer wieder, dass er ein liebenswertes Raubein sei, hart, aber authentisch, gefürchtet wegen seiner ›Blutgrätsche‹, geliebt wegen seines gradlinigen Charakters.
    Er sah auf die Uhr. Zweimal war er schon ums Karree gelaufen, und Sandra war noch nicht aufgetaucht. Er machte sich große Sorgen um sie, seit Ramona ihn angerufen und angefleht hatte, Sandra so schnell wie möglich aus der Villa am Wannsee herauszuholen, weil Schulz offen gedroht habe, sie umzubringen. Aber wie sollte er sie herausholen, wenn sie nicht bereit war zu gehen? Und er konnte ihr deswegen auch keinen Vorwurf machen, denn aus eigener Erfahrung wusste er, wie schwer es war, von allem Abschied zu nehmen. Wenn Schulz Sandra umbrachte, dann …
    Man müsste Schulz umbringen, bevor der …
    Es war ein Gedanke, der ihn nicht mehr losließ. Er selbst sah ihn als einen Virus, der sich langsam und unaufhaltsam auf seiner Festplatte ausbreitete und sehr bald das Programm voll im Griff haben würde.

     
    *

     
    Rainer Wiederschein bekam einen Tobsuchtsanfall, als er bemerkte, dass im hintersten Winkel der Speisekammer ein teuer eingekaufter spanischer Schinken hing, der furchtbar verschimmelt war und schon nach Aas zu stinken begann.
    »Habt ihr denn alle Tomaten auf den Augen und amputierte Riechorgane, dass ihr das nicht merkt?«, schrie er.
    Doch es war niemand da, der ihn gehört hätte, denn seine Leute waren alle irgendwo mit anderem beschäftigt. Was tun? Wiederschein überlegte. Sah ihn jemand mit dem verschimmelten Schinken oder entdeckte man den in der Mülltonne, dann war das überaus rufschädigend für sein Restaurant, denn sofort würde es heißen: ›Aha, da möchte ich ja nicht wissen, was bei dem im »à la world-carte« alles an vergammeltem Fleisch auf den Tisch kommt.‹ Also war es das Beste, den Schinken vor dem Schlafengehen hinten im Garten zu vergraben.
    Angela war zu einer Filmpremiere in die Stadt gefahren, und da sie im Restaurant heute Ruhetag hatten und das Gästehaus derzeit leer stand, waren auch Gudrun und Freddie ausgeflogen. So konnte er sich, als es 23 Uhr geworden war, ungestört an die Arbeit machen.
    Bei der Laubach drüben war alles dunkel, und auf der Baustelle nebenan war es schon lange still geworden.
    Wohin mit dem verdorbenen Schinken? Am besten, er vergrub ihn unterm Kirschbaum. Vielleicht gab er einen guten Dünger ab, wenn er sich langsam zersetzte. Nein, die Maden. Also ein Stückchen weg vom Kirschbaum.
    Er holte den Schinken aus dem Heizungskeller, wo er ihn versteckt hatte, und trug ihn in den Garten hinaus. Zum Glück hatten sie derzeit keinen Hund, und auch die Köter in der Nachbarschaft gaben Ruhe. Da es stürmte und immer wieder Regenschauer gab, hatte man die abendliche Runde längst gedreht. Der Schein der Laterne, die oben am Giebel hin und her schaukelte, reichte bis in den hintersten Winkel des Gartens, und es war hell genug, ein Loch zu graben. Wenn er sich beeilte, schaffte er es, bevor die nächste S-Bahn vorüberrollte.
    Kräftig stieß er den Spaten in den aufgeweichten Boden und trieb ihn, indem er mit dem rechten Fuß auf das Metall trat, noch tiefer hinein, zu tief, wie sich alsbald herausstellen sollte, denn er hatte zu wenig Kraft in den Armen, um wirklich einen großen Brocken herausheben zu können. Aber allmählich ging es besser. Um nicht Ratten, Füchse, Marder und streunende Katzen anzulocken, war es sicherlich notwendig, denn Schinken mindestens einen Meter tief zu vergraben.
    Er war schon ziemlich weit gekommen, als er auf etwas stieß, das unter dem Schnitt des Eisens zerbrach und augenscheinlich weder Stein noch Wurzel war. Vorsichtig grub er weiter und holte dann seine Taschenlampe aus der Hosentasche. Als er sie eingeschaltet hatte, erkannte er mit einigem Schaudern, dass er auf Arm und Schulter eines verscharrten Toten gestoßen war. Reste von Kleidungsstücken

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