Unterm Kirschbaum
neuen Haus viel Platz für ihren Modekram haben würde. Schnell überschlug er mithilfe seines Taschenrechners, wie viel Geld er für das Grundstück in Frohnau zur Verfügung haben würde, und war zufrieden. Auch nach der Scheidung reichte es, ohne dass er groß Kredite aufnehmen musste.
In Aufbruchsstimmung setzte er sich in seinen BMW , um nach Frohnau zu fahren.
*
»Wir sind traurig, Herr, denn wir müssen für immer Abschied nehmen von einem Menschen, der uns so vertraut war wie niemand sonst. Mit seinem Tod, mit dem Tod von Justus Abbenfleth, geben wir auch einen Teil von uns selbst dahin. Und dennoch wollen wir nicht nur auf all das blicken, was der Tod uns nahm, sondern wollen auch dankbar erkennen, was du, Herr, uns durch den Verstorbenen gabst – an Fürsorge, Liebe, Trost, vor allem aber an Lachen und an Lebensfreude und an Erkenntnis über das Sosein der Welt. Herr, lass uns all dies gerade in diesen Minuten und Stunden nicht vergessen …«
Bei diesen Worten konnte Angela Wiederschein ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie saß in der Kapelle des Osterholzer Friedhofes und war nach Bremen gekommen, um Abschied von ihrem Onkel zu nehmen, einem höchst mittelmäßigen Schauspieler, der aber ihren Lebensweg bestimmt hatte wie kein Zweiter. Durch ihn war sie zum Theater und zum Film gekommen und hatte geglaubt, das Größte im Leben sei es, auf der Straße erkannt und um ein Autogramm gebeten zu werden. Er hatte in ihr das wachgerufen, was ihr Therapeut später narzisstische Bedürftigkeit und narzisstische Unersättlichkeit nennen sollte. Angela wurde krank, wenn sie nicht mindestens jede Woche einmal auf dem Bildschirm erschien oder von den Illustrierten und Gazetten mit einer Homestory bedacht wurde. Und nicht nur das: Wurden andere erwähnt und hochgejubelt, war das für sie ein Schlag ins Gesicht, und sie verfiel in starke Depressionen. Das hatte sie fast umgebracht, und wenn sie nicht auf Wiederschein gestoßen wäre, hätte sie sicher Selbstmord begangen.
»Der Tod von Justus Abbenfleth hat uns alle tief erschüttert«, fuhr der Pfarrer fort. »Absurd war er, bizarr, stirbt doch da ein Schauspieler während der Dreharbeiten, als er einen Manager spielt, der in einem Luxusrestaurant an einem Fleischbrocken ersticken soll, bei laufender Kamera wirklich an einem Fleischbrocken, der ihm in die Luftröhre gerät und dort stecken bleibt. Ja, meine verehrte Trauergemeinde, wie steht es im Römer 11,13: Wie unerforschlich sind doch Gottes Wege!«
Angela Wiederschein zuckte zusammen, als sie dies hörte. Denn hätte ihr Gatte nicht die Gebeine des 1945 getöteten Soldaten im Garten gefunden und wäre nicht ihr Onkel in Bremen gestorben, sodass man die Nachricht vom reichen Erbe verbreiten konnte, dann hätte es den Plan nicht gegeben, Siegfried Schulz mit einem perfekten Mord aus der Welt zu schaffen.
Dass ihr Justus Abbenfleth nur lumpige 5.000 Mark vererbt hatte, erfuhr sie später, als man sich nach dem obligatorischen Leichenschmaus bei ihrer Cousine Susanne oben in Vegesack versammelt hatte.
Susanne, die Tochter des Verstorbenen, hatte unter ihrem Vater zu sehr gelitten, als dass sie dessen Tod übermäßig betrübt hätte. So war ihr Ton nicht anders als bei jedem beliebigen Klönschnack.
»Dass er dir 5.000 Mark vermacht hat, zeugt davon, dass er dich wirklich geliebt hat«, sagte sie zu Angela Wiederschein. »Geizig, wie er war. Aber du hast es wenigstens versucht, Schauspielerin zu werden, während ich es nur zur Volljuristin gebracht habe. Uns Paragrafenheinis hat er ja allesamt gehasst. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich nur Jura studiert, um ihn zu ärgern, viel lieber wäre ich Kunsthistorikerin geworden und später ins Museum gegangen.«
»Ja, wie unerforschlich sind Gottes Wege«, wiederholte Angela Wiederschein.
»Das kannst du dick unterstreichen. Wer hätte damals in Ohio gedacht, dass du einmal Gastwirtin würdest.«
»Wer nichts wird, wird Wirt – weißt du doch«, sagte Angela Wiederschein, und sie sprachen noch ein Weilchen über die Zeit, als sie für ein Jahr in den USA zur Schule gegangen waren, um perfekt Englisch zu lernen. »Ja, unsere Träume damals …« Fast hätte sie noch hinzugefügt, dass sie damals davon geträumt hatte, Mr. Willows umzubringen, einen besonders verhassten Lehrer, und dass sie nun dabei war, wirklich jemanden zu ermorden.
*
Siegfried Schulz betonte ständig, ein Mann der schnellen Entscheidung zu sein, doch mit der
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