Unterm Kirschbaum
Schauspielerin, und machst so viel Lärm, dass dich möglichst viele sehen. Ich werde am Gartentor stehen und meinem Onkel Siegfried hinterherwinken. Du fährst ein paar Kilometer Richtung Norden, er wollte ja nach Rostock, und versenkst seinen Wagen kurz hinter Oranienburg in den Oder-Havel-Kanal. Anschließend verwandelst du dich in die Angela Wiederschein zurück, entsorgst seine Kleidungsstücke irgendwo in einem Müllcontainer, bis auf den Borsalino, und kommst mit der S-Bahn nach Frohnau zurück. Es ist der perfekte Mord.«
Sie hatte keinerlei Skrupel. Die Menschheit von einem Ekel wie Schulz zu befreien, war eine gute Tat. Außerdem waren sie und das ›à la world-carte‹ gerettet, denn sie erbten zwar nichts von dem Vermögen, das Schulz hinterlassen würde, aber sie waren auf einen Schlag alle ihre Schulden los, und das war eine sechsstellige Summe, denn Schulz hatte nichts Schriftliches hinterlassen und sich keinen Schuldschein ausstellen lassen. Wahrscheinlich stammte das Geld, das er ihnen geliehen hatte, aus krummen Geschäften, und er benutzte das ›à la world-carte‹, es zu waschen. Außerdem würde er einige 1.000 bis 10.000 Mark bei sich haben, und die konnten sie gut gebrauchen.
Angela Wiederschein sah den Plan ihres Mannes als Drehbuch und sich als Schauspielerin, dies als Folge einer gewissen ›déformation professionelle‹.
Pfarrer Eckel kam ihr entgegen und grinste. »Na, Frau Wiederschein, wieder mal im Kaufrausch?«
Sie musste kurz husten. Fast wäre ihr herausgerutscht, dass sie ausgezogen war, um den Leuten eine ganz bestimmte Botschaft zu vermitteln, nämlich: Die Wiederscheins, die haben es so dicke, dass sie es gar nicht nötig haben, einen Menschen umzubringen. Nach ein paar Sekunden versuchte sie zu lachen. »Ich sichere nur Arbeitsplätze. Aber es macht Spaß, Geld zu haben und es ausgeben zu können.«
Pfarrer Eckel wurde soziologisch. »Ach ja, Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus … Das gilt ja alles nicht mehr, dass man asketisch lebt – auch keine Fleischeslust – und nichts ausgibt, sondern seinen Besitz erhält und durch rastlose Arbeit mehrt – und damit Gott gefällig lebt.«
*
Karsten Klütz verdiente auch als Amateur bei Berlin United mehr als der berühmte kleine Mann auf der Straße, dafür sorgte schon der Sponsor, der seinen Verein unbedingt in der Zweiten Bundesliga haben wollte, aber dennoch fühlte sich Klütz als Arbeitsloser. Am späten Nachmittag wurde trainiert, aber bis dahin war der Tag öd und leer. Klütz las nicht gern, er joggte nicht gern, er surfte nicht gern im Internet, und das Fernsehen langweilte ihn meistens zu Tode. Wenn sie nicht gerade Fußball zeigten, aber sie zeigten nicht immer Fußball. Was ihn zudem depressiv stimmte, war die Tatsache, dass er nirgends richtig vorankam, nicht mit dem Grundstück irgendwo am Rande der Stadt, nicht mit der Gründung seiner Agentur für Spielervermittlung, nicht in seiner Beziehung mit Sandra. Sie konnte nicht loslassen, auch wenn Schulz sie täglich übler beschimpfte und ihr sonst was androhte.
Klütz hatte eine kleine Wohnung in Friedenau gemietet, in der Stubenrauchstraße, und wenn er aus dem Fenster sah, blickte er auf einen Friedhof. Ein gutes Omen war das nicht.
Seine Stimmung hätte nicht mieser sein können, als sein Makler anrief.
»Herr Klütz, ich habe da ein Schnäppchen für Sie. Ein großes Grundstück mit einem wunderschönen Neubau in Friedenau …«
»Was, bei mir hier?«
»Wie …?« Der Makler war verwirrt. »Wohnen Sie in Frohnau?«
»Nein, in Friedenau. Sie haben eben Friedenau gesagt.«
»Ach, Gott, Entschuldigung, ich bringe die beiden Ortsteile immer durcheinander.« Der Makler schien sehr gehetzt zu sein. »Frohnau also … Der Eigentümer hat gerade angefangen zu bauen, ein hübsches Haus, nicht zu groß und nicht zu klein, letzte Woche war Richtfest … Nun muss er aber beruflich weg von Berlin und will alles so schnell wie möglich loswerden. Das wäre Ihre große Chance.«
Klütz zögerte nicht lange. Frohnau hörte sich nicht schlecht an, und da Rebecca mit den Kindern nach Tegel gezogen war, hatte er es nicht weit, wenn er Leon und Leonie sehen wollte. »Okay, ich komme. Wann und wo treffen wir uns?«
»Geht das bei Ihnen: In einer Stunde auf der Frohnauer Brücke?«
»Ja, das schaffe ich locker.«
Klütz freute sich, dass die Dinge endlich ins Rollen kamen. Vielleicht konnte er Sandra damit locken, dass sie im
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