Unterm Kirschbaum
hoffen, der alles wieder verwischen würde. Zu Hilfe kam ihm die Tatsache, dass die Bauleute vor ein paar Tagen, als ihnen der Betonmischer umgefallen war, seinen Zaun arg demoliert, aber noch nicht wieder geflickt hatten. So war das Loch, durch das er Schulz auf das andere Grundstück ziehen konnte, schnell geschaffen. Er rollte den Körper bis zum Rand der Baugrube und gab ihm einen kräftigen Stoß, sodass er die Schräge hinunterrutschte. Dann kehrte Wiederschein auf sein Grundstück zurück, um Schippen und Spaten zu holen. Es war viel schwerer als erwartet, eine ausreichend große Höhlung unter dem Fundament zu schaffen, doch gegen 3 Uhr hatte er den Toten ausreichend sicher verstaut. Eine weitere halbe Stunde benötigte er, um die Spuren seines Tuns zu beseitigen, so gut es ging.
Er brachte Spaten und Schippe, nachdem er sie vom hellen Sand der Baustelle gereinigt hatte, in seinen Geräteschuppen zurück und tauschte die Kleidung, die er immer trug, wenn er im Garten arbeitete oder sich als Heimwerker betätigte, gegen T-Shirt und Hose. Nachdem er das Gästehaus verschlossen hatte, konnte der letzte Punkt auf seiner Ablaufplanung abgehakt werden.
Der Himmel schien auf seiner Seite zu sein, denn kaum war er oben im Schlafzimmer angekommen, um seiner Frau Bericht zu erstatten, da begann es, fürchterlich zu schütten.
*
Freddie träumte gerade das, was er regelmäßig träumte: Dass er als Flusspferd im Becken des Berliner Zoos herumschwamm und von allen bestaunt wurde, als ihn das Getöse seines Radioweckers auffahren ließ. Die Uhr zeigte 3.50 Uhr. Er fluchte nach allen Regeln der Kunst, weil er annahm, das Scheißding hätte einen Defekt, bis ihm einfiel, dass er sich ja selbst die frühe Weckzeit eingestellt hatte, um dieses Arschloch von Schulz aus dem Bett zu holen. Der hatte behauptet, seinen Reisewecker nie zu hören. Aber das war alles Quatsch, reine Schikane, dessen war sich Freddie sicher.
Er hievte sich aus dem Bett und schlüpfte in seine Sachen. Die Morgentoilette konnte warten. Es hatte zwar aufgehört zu regnen, aber dennoch holte er sich nasse Füße, als er zum Pferdestall hinüberlief, um Schulz zu wecken. Er fand das Gästehaus verschlossen, weshalb er sich damit begnügte, an die Tür zu klopfen und durch das Schlüsselloch zu rufen: »4 Uhr, Herr Schulz, aufstehen bitte!« Er horchte noch eine Weile hinein, und als alles ruhig blieb, riss er an der Klinke und rief: »Aufstehen, Herr Schulz, es ist Zeit!« Danach ging er zurück zum Haupthaus, um mit Gudrun in der Küche einen kleinen Plausch zu halten. Sie war dabei, Schulz das Frühstück zuzubereiten.
»Der Chef hat aufgeschrieben, was er kriegen soll.« Sie hielt Freddie den Zettel hin, den sie nicht richtig entziffern konnte. »Du, was ist denn Kaffi a für ’ne Sorte?«
»Mensch, Kaviar!«, rief Freddie. »Und hol den Puderzucker aus dem Schrank, den sollen wir ihm in den Arsch blasen, sagt Wiederschein.«
»Ehrlich?«
Freddie hörte gar nicht mehr auf zu fluchen. »Ohne diesen Schulz hätten wir heute bis 7 Uhr schlafen können. Dieser Armleuchter! Und nun wird er nicht mal wach.«
Als auf dem Flur Schritte zu vernehmen waren, hörten sie auf, über Schulz zu lästern, doch es war Wiederschein, der nahte.
»Bei dem Mistwetter kann ja keiner schlafen!«, stöhnte er. »Guten Morgen allerseits! Sitzt mein lieber Onkel schon am Kaffeetisch?«
»Der is nich wachzukriegen gewesen«, antwortete Freddie.
»Geh und sieh nach, er ist am Ende wieder eingeschlafen. Und sag ihm, sein Kaffee würde kalt … Aber nein, lass nur, er wird schon von selbst kommen.«
Und richtig, zehn Minuten vor 5 Uhr kam Schulz aus dem Gästehaus, wichtig mit Staubmantel und Borsalino, und strebte in ziemlicher Eile zur Straße, so schnell, dass der Koffer, den er hinter sich herzog, auf und ab hüpfte und mächtig lärmte.
Freddie und Gudrun, die seinen dramatisch inszenierten Abgang vom Küchenfenster aus verfolgten, wollten ihm hinterhereilen, einmal, um ihm zu helfen, und zum anderen, um vielleicht trotz aller Polterei ein sattes Trinkgeld einzustreichen, doch Wiederschein verstellte ihnen den Weg.
»Lasst ihn! Wir hatten gestern Abend Zoff, und da … In dieser Stimmung macht er nur alle zur Sau, ich kenne das. Es reicht, wenn wir auf die Terrasse gehen und winken.«
Das taten sie dann auch und sahen gerade noch, wie Schulz das Gartentor, das ihn irgendwie geärgert haben musste, wütend ins Schloss warf und seinem genau gegenüber
Weitere Kostenlose Bücher