Unterm Rad
heimatlicher gestaltende Landschaft nicht ohne Vergnügen, bis ihm, schon nahe der Heimatstadt, sein Vater in den Sinn kam und eine peinliche Angst vor dem Empfang ihm die kleine Reisefreude gründlich verdarb. Die Fahrt zum Stuttgarter Examen und die Reise zum Eintritt nach Maulbronn fielen ihm wieder ein mit ihrer Spannung und ängstlichen Freude. Wozu war nun das alles gewesen? Er wußte so gut wie der Ephorus, daß er nicht wiederkommen würde und daß es nun mit Seminar und Studium und allen ehrgeizigen
Hoffnungen ein Ende hatte. Doch machte ihn das jetzt nicht traurig, nur die Angst vor seinem enttäuschten Vater, dessen Hoffnungen er betrogen hatte, beschwerte ihm das Herz. Er hatte jetzt kein anderes Verlangen als zu rasten, sich auszuschlafen, auszuweinen, auszuträumen und nach all der Quälerei einmal in Ruhe gelassen zu werden. Und er fürchtete, daß er das beim Vater zu Haus nicht finden werde. Am Ende der Eisenbahnfahrt bekam er heftiges Kopfweh und sah nicht mehr zum Fenster hinaus, obwohl es jetzt durch seine Lieblingsgegend ging, deren Höhen und Forste er früher mit Leidenschaft durchstreift hatte; und beinah hätte er das Aussteigen am wohlbekannten heimischen Bahnhof versäumt.
Nun stand er da, mit Schirm und Reisesack, und wurde vom Papa betrachtet. Der letzte Bericht des Ephorus hatte dessen Enttäuschung und Entrüstung über den mißratenden Sohn in einen fassungslosen Schrecken verwandelt. Er hatte sich Hans verfallen und schrecklich aussehend vorgestellt und fand ihn nun zwar gemagert und schwächlich, aber doch noch heil und auf eigenen Beinen wandelnd. Ein wenig tröstete ihn das; das Schlimmste aber war seine verborgene Angst, sein Grauen vor der Nervenkrankheit, von welcher Arzt und Ephorus geschrieben hatten.
In seiner Familie hatte bis jetzt nie jemand Nervenleiden gehabt, man hatte von solchen Kranken immer mit verständnislosem Spott oder mit einem verächtlichen Mitleid wie von Irrenhäuslern gesprochen, und nun kam ihm sein Hans mit solchen Geschichten heim.
Am ersten Tag war der Junge froh, nicht mit Vorwürfen empfangen zu werden. Dann fiel ihm die scheue, ängstliche Schonung auf, mit der ihn sein Vater behandelte und zu der er sich sichtlich gewaltsam zwingen mußte. Gelegentlich bemerkte er nun auch, daß er ihn mit sonderbar
prüfenden Blicken, mit einer unheimlichen Neugierde anschaute, in einem gedämpften und
verlogenen Ton mit ihm redete und ihn, ohne daß er es merken sollte, beobachtete. Er wurde nur noch scheuer, und eine unbestimmte Angst vor seinem eigenen Zustand begann ihn zu quälen.
Bei gutem Wetter lag er stundenlang im Walde draußen, und es tat ihm gut. Ein schwacher Abglanz der ehemaligen Knabenseligkeit überflog dort manchmal seine beschädigte Seele: die Freude an Blumen oder Käfern, am Belauschen der Vögel oder am Verfolgen einer Wildspur.
Doch waren das immer nur Augenblicke. Meistens lag er träge im Moos, hatte einen schweren Kopf und versuchte vergeblich, an irgend etwas zu denken, bis die Träume wieder zu ihm traten und ihn weit in andere Räume mitnahmen.
Einmal hatte er folgenden Traum. Er sah seinen Freund Hermann Heilner tot auf einer Tragbahre liegen und wollte zu ihm hingehen, aber der Ephorus und die Lehrer drängten ihn zurück und versetzten
ihm
bei
jedem
neuen Vordringen schmerzhafte
Püffe.
Nicht
nur
die
Seminarprofessoren und Repetenten waren dabei, sondern auch der Rektor und die Stuttgarter Examinatoren, alle mit erbitterten Gesichtern. Plötzlich war alles anders, auf der Bahre lag der ertrunkene Hindu, und sein komischer Vater mit dem hohen Zylinder stand krummbeinig und wehmütig daneben.
Und wieder ein Traum: er lief im Walde auf der Suche nach dem entlaufenen Heilner, und er sah ihn immer wieder ferne zwischen den Stämmen gehen und sah ihn immer und immer wieder,
gerade wenn er ihm rufen wollte, verschwinden. Endlich blieb Heilner stehen, ließ ihn
herankommen und sagte: Du, ich hab' einen Schatz. Dann lachte er übermäßig laut und
verschwand im Gebüsch.
Er sah einen schönen, mageren Mann aus einem Schiffe steigen, mit stillen, göttlichen Augen und schönen, friedevollen Händen, und er lief auf ihn zu. Alles verrann wieder, und er besann sich, was es sei, bis ihm die Stelle des Evangeliums wieder einfiel, wo es hieß: ééäêäí éàÙÓÝßÝãéí ÑäãßÝ àéìÙéÔìÑÜÝ Und nun mußte er sich besinnen, was für eine Konjugationsform àéìÙéÔìÑÜÝ
sei und wie Präsens,
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