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Unterm Rad

Unterm Rad

Titel: Unterm Rad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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sonst kann er Grobschmied werden. Da guck mal her!«
    Erbrachte ein paar kleine, feingearbeitete Maschinenteile herbei, aus blankem Stahl, und zeigte sie Hans. »Ja, da darf kein halber Millimeter dran fehlen. Alles von Hand geschafft, bis auf die Schrauben. Da heißt's Augen auf! Die werden jetzt noch poliert und gehärtet, dann hat sich's.«
    »Ja, das ist schön. Wenn ich nur wüßte « August lachte.
    »Hast Angst? Ja, ein Lehrbub wird halt kuranzt, da hilft alles nix. Aber ich bin auch noch da, und ich helf dir dann schon. Und wenn du am nächsten Freitag anfängst, dann hab' ich gerade mein zweites Lehrjahr fertig und kriege am Samstag den ersten Wochenlohn. Und am Sonntag wird gefeiert, und Bier, und Kuchen, und alle dabei, du auch, dann siehst du mal, wie's bei uns hergeht.
    Ja, da schaust du! Und überhaupt sind wir ja früher auch schon so gute Freunde gewest.« Beim Essen sagte Hans seinem Vater, er habe Lust zum Mechaniker, und ob er in acht Tagen anfangen dürfe. »Also gut«, sagte der Papa und ging nachmittags mit Hans in die Schulersche Werkstatt und meldete ihn an. Als es aber anfing, dämmerig zu werden, hatte Hans das alles schon wieder so gut wie vergessen und dachte nur noch daran, daß er am Abend von der Emma erwartet
    werde. Es verschlug ihm schon jetzt den Atem, die Stunden waren ihm bald zu lang und bald zu kurz, und er trieb der Begegnung entgegen wie ein Schiffer einer Stromschnelle. Von Essen war diesen Abend keine Rede, kaum brachte er eine Tasse Milch herunter. Dann ging er.
    Es war alles wie gestern - dunkle, schläfernde Gassen, tote Fenster, Laternenzwielicht und langsam wandelnde Liebespaare.
    Am Zaun des Schustergartens überfiel ihn eine große Bangigkeit, er zuckte bei jedem Geräusch zusammen und kam sich mit seinem Stehen und Lauschen im Finstern vor wie ein Dieb. Er hatte noch keine Minute gewartet, da stand die Emma vor ihm, fuhr ihm mit den Händen übers Haar und öffnete ihm die Gartenpforte. Er trat vorsichtig ein, und sie zog ihn mit sich, leise durch den von Gebüsch eingefaßten Weg, durchs Hintertor in den finsteren Hausgang.
    Dort setzten sie sich nebeneinander auf die oberste Kellerstaffel, und es dauerte eine ganze Weile, bis sie einander in der Schwärze notdürftig sehen konnten. Das Mädchen war guter Dinge und plauderte flüsternd drauflos. Sie hatte schon manchen Kuß geschmeckt und wußte in
    Liebessachen Bescheid; der schüchtern zärtliche Knabe war ihr eben recht. Sie nahm sein schmales Gesicht zwischen ihre Hände und küßte Stirne, Augen und Backen, und als der Mund an die Reihe kam und sie ihn wieder so lang und saugend küßte, ergriff den Knaben ein Schwindel, und er lag schlaff und willenlos an sie gelehnt. Sie lachte leise und zupfte ihn am Ohr.
    Sie plauderte fort und fort, und er hörte zu und wußte nicht, was er hörte. Sie strich mit der Hand über seinen Arm, über sein Haar, über seinen Hals und seine Hände, sie lehnte ihre Wange an seine und ihren Kopf auf seine Achsel. Er schwieg still und ließ alles geschehen, von einem süßen Grauen und einer tiefen, glücklichen Bangigkeit erfüllt, zuweilen kurz und leise wie ein Fiebernder zusammenzuckend.
    »Was bist denn du für ein Schatz!« lachte sie. »Du traust dich gar nix.«
    Und sie nahm seine Hand, fuhr mit ihr über ihren Nacken und durch ihr Haar und legte sie auf ihre Brust und drückte sich dagegen. Er spürte die weiche Form und das süße fremde Wogen, schloß die Augen und fühlte sich in endlose Tiefen untersinken. »Nicht! Nicht mehr!« sagte er abwehrend, als sie ihn wieder küssen wollte. Sie lachte.
    Und sie zog ihn nahe zu sich und preßte seine Seite an ihre Seite, ihn mit dem Arm
    umschlingend, daß er im Spüren ihres Leibes ganz den Kopf verlor und gar nichts mehr sagen konnte. »Hast mich denn auch lieb?« fragte sie. Er wollte ja sagen, aber er konnte nur nicken und nickte eine ganze Weile fort.
    Sie nahm noch einmal seine Hand und schob sie scherzend unter ihr Mieder. Da er so Puls und Atem des fremden Lebens heiß und nah erfühlte, stockte ihm der Herzschlag, und er glaubte sterben zu müssen, so schwer ging sein Atem. Er zog die Hand zurück und stöhnte: »Jetzt muß ich heimgehen.«
    Als er aufstehen wollte, begann er zu schwanken und wäre ums Haar die Kellertreppe
    hinuntergestürzt. »Was hast du?« fragte Emma erstaunt. »Ich weiß nicht. Ich bin so müd.« Er fühlte nicht, daß sie auf dem Weg zum Gartenzaun ihn stützte und sich an ihn preßte, und hörte

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