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Unterm Rad

Unterm Rad

Titel: Unterm Rad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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jenseits des Gartens das leise Strömen des Flusses deutlich hören konnte. Die Dunkelheit und Nachtkühle nahm eilig zu. Neben den Wohnzimmerfenstern lag ein kleineres Flurfenster dunkel. Nach einer langen Weile erschien an diesem Fensterchen eine undeutliche Gestalt, lehnte sich heraus und blickte in die Dunkelheit.
    Hans erkannte an der Figur, daß es Emma war, und vor banger Erwartung stand ihm das Herz still. Sie blieb im Fenster stehen, lang und ruhig herüberblickend, doch wußte er nicht, ob sie ihn sehe oder erkenne. Er regte kein Glied und schaute starr zu ihr hinüber, mit Ungewissem Zagen zugleich hoffend und fürchtend, sie möchte ihn erkennen. Und die undeutliche Gestalt
    verschwand wieder aus dem Fenster, gleich darauf klinkte die kleine Gartentüre, und Emma kam aus dem Hause. Hans wollte im ersten Schrecken auf und davon, blieb aber willenlos am Zaun lehnen und sah das Mädchen langsam ihm entgegen durch den dunklen Garten schreiten, und bei jedem ihrer Schritte trieb es ihn davonzulaufen und hielt etwas Stärkeres ihn zurück.
    Nun stand Emma gerade vor ihm, keinen halben Schritt entfernt, nur der niedrige Zaun
    dazwischen, und sie sah ihn aufmerksam und sonderbar an. Eine ganze Zeitlang sagte keines ein Wort. Dann fragte sie leise: »Was willst du?«
    »Nichts«, sagte er, und es fuhr ihm wie ein Streicheln über die Haut, daß sie ihm du gesagt hatte.
    Sie streckte ihm ihre Hand über den Zaun weg hin. Er nahm sie schüchtern und zärtlich und drückte sie ein wenig, da merkte er, daß sie nicht zurückgezogen wurde, faßte Mut und
    streichelte die warme Mädchenhand fein und vorsichtig. Und als sie ihm noch immer willig überlassen blieb, legte er sie an seine Wange. Eine Flut von durchdringender Lust, von seltsamer Wärme und seliger Müdigkeit überlief sein Wesen, die Luft um ihn her schien ihm lau und föhnfeucht, er sah nicht Gasse noch Garten mehr, nur ein nahes helles Gesicht und ein Gewirre dunkler Haare.
    Und es schien ihm aus einer großen Nachtferne her zu tönen, als das Mädchen ganz leise fragte:
    »Willst du mir einen Kuß geben?«
    Das helle Gesicht kam näher, die Last eines Körpers bog die Latten ein wenig nach außen, lose, leicht duftende Haare streiften Hans die Stirn, und geschlossene Augen, von weißen, breiten Lidern und dunklen Wimpern zugedeckt, standen dicht vor den seinen. Ein heftiger Schauder lief ihm über den Leib, als er mit scheuen Lippen den Mund des Mädchens berührte. Er zitterte augenblicklich wieder zurück, aber sie hatte seinen Kopf mit den Händen umfaßt, drückte ihr Gesicht in seines und ließ seine Lippen nicht los. Er fühlte ihren Mund brennen, er fühlte ihn sich anpressen und gierig festsaugen, als wolle er ihm das Leben austrinken. Eine tiefe Schwäche überkam ihn; noch ehe die fremden Lippen von ihm ließen, verwandelte die zitternde Lust sich in Todesmüdigkeit und Pein, und als Emma ihn freigab, schwankte er und hielt sich mit krampfhaft klammernden Fingern am Zaun fest.
    »Du, sei morgen abend wieder da«, sagte Emma und ging rasch ins Haus zurück. Sie war keine fünf Minuten fort gewesen, Hans aber schienen lange Zeiten vergangen. Er schaute ihr mit leeren Blicken nach, hielt sich noch immer an den Planken und fühlte sich zu müde, um einen Schritt zu tun. Träumend hörte er seinem Blute zu, das ihm im Kopfe hämmerte, in ungleichen,
    schmerzhaften Wogen vom Herzen und zurück flutete und ihm den Atem verhielt.
    Nun sah er drinnen im Zimmer die Türe gehen und den Meister hereintreten, der wohl noch in der Werkstatt gewesen war. Eine Furcht, man möchte ihn bemerken, überfiel ihn und trieb ihn davon.
    Er ging langsam, widerwillig und unsicher wie ein leicht Betrunkener und hatte bei jedem Schritt das Gefühl, in die Knie sinken zu müssen. Die dunkeln Gassen mit schläfrigen Giebeln und trüben roten Fensteraugen flossen wie bleiche Kulissen an ihm vorüber, und Brücke, Fluß, Höfe und Gärten. Der Gerbergaßbrunnen plätscherte sonderbar laut und tönend. Traumbefangen öffnete Hans ein Tor, kam durch einen pechfinsteren Gang, stieg Treppen empor, öffnete und schloß eine Türe und noch eine, setzte sich auf einen dastehenden Tisch und erwachte erst nach einer längeren Zeit zu der Empfindung, zu Hause in seiner Stube zu sein. Es dauerte wieder eine Weile, ehe er zum Entschluß kam, sich auszukleiden. Er tat es zerstreut und blieb entkleidet am Fenster sitzen, bis ihn plötzlich die Herbstnacht durchfröstelte und in die Kissen

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