Unternehmen CORE
Briefmarken, die Leidy entdeckte, waren langweilige Porträts des Königs.
Ein kalter Hauch des Überdrucks, ein scharfer Kreis weißen Lichts in der Dunkelheit, das gedämpfte Dröhnen der Turbinen in der Nacht …
Leidy hatte in London die Maschine gewechselt; er war der einzige Passagier in der Ersten Klasse. Der Gedanke, so billig wie möglich zu reisen, freute ihn. Aber wenn eine Fluggesellschaft am Rande des Konkurses stand und sein Meilenbonus beinahe ablief, gab es nichts Besseres, als ihn aufzubrauchen, redete er sich ein.
Er las in der letzten der Zeitschriften, die er aus Marokko mitgebracht hatte, in der internationalen Ausgabe der Time, die bereits eine Woche alt war.
… Wissenschaftler in Caltech weisen darauf hin, daß die ungewöhnlichen Schwankungen der Stärke des Magnetfeldes bereits zu besorgniserregenden Verschiebungen der magnetischen Pole geführt haben …
Er überflog den kurzen Artikel. Einige der Personen, die zitiert wurden, Schönwetter-Cowboys am Jet Propulsion Laboratory, waren gute Freunde von ihm. Einer seiner früheren Professoren am Caltech wurde ebenfalls genannt; der Mann war ein verdammt hohes Tier mit einer Reputation für waghalsige Laborexperimente, die, wie er behauptete, viel über die Zustände im Erdinneren aussagten; für Feldstudien auf dem Gebiet des Paläomagnetismus hatte er allerdings nur Verachtung übrig. Er gehörte nicht zu den Freunden von Leidy Hudder.
Es gab unzählige Warnungen über das Magnetfeld, bevor es zum Desaster kam – in den letzten Jahrzehnten fluktuierte es mehr als in den vorangegangenen vier Jahrhunderten, die Zeitspanne, in der es eingehender beobachtet wurde; viele seiner Kollegen meinten, das Feld wäre schon seit einigen hunderttausend Jahren reif für den Zusammenbruch. Allerdings meinten sie auch, daß sich der Kollaps nicht schnell vollziehen würde, zumindest, wenn man ihn nicht an geologischen Zeitmaßstäben mißt. Leidy jedoch hatte andere Dinge im Kopf.
»Kann ich Ihnen vor dem Essen etwas zu trinken servieren, Sir?« Die Stewardeß war eine attraktive junge Frau mit deutschen oder holländischen Vorfahren, wie er an ihrem Akzent und den weißblonden Haaren zu erkennen glaubte – und sie erinnerte ihn an seine ihm fremd gewordene Frau … auch an seine Mutter; ein Frauentyp, zu dem er sich – wie er erst kürzlich bei einer psychotherapeutischen Sitzung erfahren mußte – unweigerlich hingezogen fühlte. Er ließ sich ein Glas Sekt bringen; sie schenkte vorsichtig ein und zeigte ihm ein gemessenes Lächeln. Das Abendessen war typische Airline-Kost, aber immer noch besser als das, was er in seinen Junggesellenjahren zu sich genommen hatte. Die Stewardeß erschien nach dem Essen und räumte die Reste weg; sie ließ sich Zeit, lange genug, damit er wußte, daß sie nun Zeit hatte zu reden. Professionelle Höflichkeit.
»Sie können den Film ausfallen lassen, falls man Sie nicht dazu auffordert«, sagte er. »Ich kann ein Schläfchen gebrauchen.«
»Wie Sie wünschen, Sir. Wollen Sie eine Decke?«
Er spürte ihre Erleichterung, so früh mit der Arbeit fertig zu sein. Er war nicht wirklich müde, er wollte sie nur in Ruhe lassen und selbst in Ruhe gelassen werden. Er verneinte ihre Frage, sie holte trotzdem ein Kissen und sogar eine Decke – »für alle Fälle« – und legte sie auf den Sitz neben ihm. Er drückte den Knopf an der Armlehne und das weiße Licht erlosch.
Hellwach starrte er gegen die verkleidete Decke. Ein Flugzeug auf einer Reisehöhe von zehntausend Metern ist nicht unbedingt der komfortabelste Ort, um über den Zusammenbruch des Magnetfelds nachzudenken. Sogar in normalen Zeiten lösen große Sonneneruptionen Strahlenalarm in den Cockpits hochfliegender Jets aus; die Besatzungen von Passagierflugzeugen verbringen so viel Zeit über der dicksten Schicht der Atmosphäre, daß sie mehr Strahlung aufnehmen als Arbeiter in Atomkraftwerken. Ohne ein starkes Magnetfeld, das geladene Partikel abweist, ist die Luft der einzige Schutz gegen kosmische Strahlung.
Aber es war Nacht; die Erde war unter ihnen; mit oder ohne Magnetfeld waren Leidy und die anderen Passagiere durch eine mehrere Tausend Kilometer dicke Gesteinsschicht vor der Sonnenstrahlung geschützt. Wozu die alte Wochenzeitschrift ihn veranlaßte, war nicht, über die Wanderung des Magnetfelds nachzudenken, sondern über sein eigenes unstetes Wanderleben. Vielleicht hatte es der in der Zeitung erwähnte Name seines ehemaligen Professors
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