Unternehmen Grüne Hölle
Sie
näherten sich den Bergen.
Nur Gaby hatte sich von Elisa, ihrer
Zimmergenossin, verabschiedet. Das Frühstück war ausgefallen — sieht man ab von
den vier Tässchen Espresso, die Gaby in der Küche bereitet hatte. Klößchen
labte sich an Schokolade — und sprang über seinen eigenen Schatten, bot nämlich
allen an. Aber nur Alfredo griff zu.
Tim musterte seine Freunde. Gaby und
Karl waren aufgeregt. Klößchen schlief noch halb.
Er selbst machte sich Sorgen. Daß Gaby
auf ihrer Teilnahme bestand, war nicht in seinem Sinn.
Nach einstündiger Fahrt erreichten sie
Torbulunza.
Das Dorf lag am Fuß steilaufragender
Felsen, eine unbedeutende Ansammlung von zwei Dutzend Häusern. Aus einigen
Schornsteinen quoll Rauch.
Alfredo hielt bei der Kirche. Englisch
radebrechend, erklärte er ihnen die Route zu einem bekannten See. Offenbar
hatte Elisa ihm weisgemacht, dies sei das Ziel der Wanderung.
„Und hier an der Kirche“, sagte Tim,
„treffen wir uns wieder — um punkt 17 Uhr.“
Sie sahen dem Landrover nach, bis er
hinter der Kurve verschwand.
„Jetzt sind wir auf uns selbst
gestellt“, meinte Karl. „Unser Vorteil ist der zeitliche Vorsprung. Wo geht’s
lang?“
Tim hatte die Wanderkarte studiert.
Vorläufig brauchte er sie nicht zur Hilfe zu nehmen.
Sie folgten einer Schotterstraße, die
sich bergan schlängelte. Die Luft war klar, aber kühl. Näher rückten die
Felsen. Nach knapp 20 Minuten erreichten sie den Zugang zum Tal. Tim, der
voranging, blieb stehen.
„Seht euch das an! Nur ein Spalt.
Rechts und links hohe Felsen — mindestens 100 Meter. Steil, steil! Und nur die
Straße paßt durch. Wenn Gasthmi hier ein Gittertor anbringt, ist die Grüne
Hölle dicht.“
„Fällt euch das auf“, fragte Karl:
„Hier ist es wärmer als unten. Fast ein Mittelmeerklima. Da wächst alles
besonders üppig und grün.“
„Sehen wir’s uns an“, meinte Tim und
stiefelte los.
Die Felswände, von denen die Straße
begrenzt wurde, standen sich nicht gegenüber, sondern gestaffelt: also talwärts
verschoben. Das verstellte die Sicht. Außerdem mußte sich die Straße als Kurve
um den vorderen Felsen biegen.
Hinter der Kurve parkte ein Jeep am
Straßenrand.
Tim sprang hinter die Felsenkante
zurück.
„Vorsicht!“ zischte er seinen Freunden
zu. „Ein Posten.“
Spähend schob er den Kopf vor.
Ein Araber kletterte gerade aus dem
Jeep. Er trug einen hellen Burnus, landesübliche Kopfbedeckung und hatte sich
eine Maschinenpistole um den Hals gehängt.
Eiligst zwängte er sich hinter dem Jeep
in die Büsche.
Aber die MP behinderte ihn. Achtlos
ließ er sie fallen, während er mit der anderen Hand die Schnur löste, die den
Burnus zusammenhielt.
Den treibt ein Bedürfnis, dachte Tim.
Anhand der wippenden Zweigspitzen
verfolgte er den Weg des Wachtpostens. Die Büsche wuchsen sehr dicht
beieinander. Der Herbst hatte ihnen noch die Blätter gelassen.
Tim konnte den Araber nicht sehen.
Ebenso wenig hatte der die Straße im Auge.
„Er muß mal“, flüsterte Tim seinen
Freunden zu. „Ist rechts in den Büschen. Unsere Chance! Schnell vorbei. Aber
leise!“
Geduckt rannte er los. Seine Freunde
folgten ihm. Alle trugen Turnschuhe. Das dämpfte die Tritte zur Lautlosigkeit.
Während sie am Jeep vorbeirannten,
beobachtete Tim die Büsche. Aber der Posten ließ sich Zeit. Seine MP lag im
Gras. Offenbar hielt er’s für ausgeschlossen, daß er das Tal gegen
Eindringlinge verteidigen mußte.
Rechts und links der Straße herrschte
undurchdringliche Wildnis. Was der Landstrich an Pflanzen hervorbrachte, schien
hier zu gedeihen. Und seit Jahrzehnten hatte sich keines Menschen Hand
eingemischt.
Die nächste Kurve war nahe. Die
TKKG-Bande brachte sie hinter sich. Damit war sie dem Blick des Arabers
endgültig entzogen.
Sie hielten inne.
„Drin sind wir“, meinte Tim. „Irgendwie
kommen wir nachher auch wieder raus. Mich wundert dieser Aufwand. Hat Gasthmi
solche Angst vor eventueller Verfolgung? Daß Salimehs Leute hinter ihm her
sind?“
„Nicht unbedingt“, sagte Karl. „Dieses
Schutzbedürfnis vor tatsächlichen oder eingebildeten Feinden gehört zum
arabischen Wesen. Alle politisch Belasteten aus Nahost sind umgeben von
Leibwächtern.“
Gaby betrachtete die dschungelartige
Vegetation.
„Jetzt begreife ich, warum das Tal
Grüne Hölle heißt! Wer hier querbeet will, braucht ein Buschmesser. Oder noch
besser eine Straßenwalze. Müssen wir auf der Straße bleiben?“
Es war der einzige
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